Sucht in der Corona-Krise
Fachstelle sieht erhöhten Beratungsbedarf
Ortenau (ds). Die Corona-Krise verändert unser Leben maßgeblich und stellt uns vor Herausforderungen, die wir so noch nicht kannten. Da bleibt psychischer Stress kaum aus. Dem ist allerdings nicht jeder gewachsen. Auf der Suche nach Entspannung ist der Schritt zur Sucht manchmal nur ein kleiner.
Vermehrt Rückfälle nach stationärer Behandlung
"Für Menschen, die bereits vorher unter einer großen Belastung standen, hat die Belastung noch zugenommen", weiß Martha Ohnemus-Wolf, Leiterin der Fachstelle Sucht in Offenburg. Das könne dazu führen, dass etwa Alkohol als vermeintlicher Problemlöser verstanden werde oder auch das Glücksspielverhalten steige. "Ebenfalls beobachteten wir in den vergangenen Monaten, dass es vermehrt zu Rückfällen nach stationären Behandlungen kam", berichtet sie. Nach dem ersten Lockdown hat die Fachstelle Sucht eine erste Halbjahresauswertung ihrer Zahlen gemacht. "Hier hatte sich gezeigt, dass wir 2020 mit dem ersten Lockdown tatsächlich mehr Einzelgespräche geführt haben als noch 2019", so Ohnemus-Wolf. Im ersten Halbjahr 2019 hat die Fachstelle Sucht 1.891 Einzelgespräche geführt, 2020 waren es im gleichen Zeitraum insgesamt 2.064. "Wir erleben gegenwärtig einen großen Bedarf und viele Anfragen von Menschen, die sich erstmals an uns wenden", ergänzt die Diplom-Sozialarbeiterin.
Von Sucht spreche man dann, wenn bestimmte Kriterien innerhalb eines Jahres für einen längeren Zeitraum erfüllt seien. "Diese Kriterien sind: Zwang zum Konsum, der Kontrollverlust, die Toleranzentwicklung, Entzugserscheinungen, das Vernachlässigen anderer Interessen zugunsten des Konsums sowie das Fortsetzen des Konsums trotz schädlicher Folgen", zählt sie auf. Als suchtgefährdet könnten ganz generell Menschen beschrieben werden, die bereits ein sehr riskantes Konsummuster haben, beispielsweise gewohnheitsmäßig einen täglichen Konsum von nicht unerheblichen Mengen von Alkohol. Ebenfalls gefährdet könnten Menschen sein, bei denen ein Suchtmittel – ob Alkohol, Glücksspiel oder exzessive Mediennutzung – bereits wichtige Funktionen im Leben eingenommen haben, etwa „um abzuschalten“, „um Einsamkeit“ oder psychischen und auch körperlichen Schmerz nicht mehr ganz so stark zu spüren.
"Wenn es hier wenig Alternativen zu Bewältigung gibt oder diese durch die Situation mit Corona wegfallen, kann es kritisch werden", betont Martha Ohnemus-Wolf. Ausgeprägte Suchterkrankungen, egal von welchem Suchtmittel, seien sehr schwere Erkrankungen, die einen Betroffenen und sein Umfeld in ganz starker Form einschränken und belasten würden. "Bei Alkohol und Glücksspiel gibt es beispielsweise Unterschiede bei der Zeitspanne, in der sich die Abhängigkeit entwickelt. Dies ist bei Glücksspiel sehr viel schneller, oft nur wenige Jahre oder gar Monate. Beim Alkohol zieht sich dieser Prozess in der Regel über viele Jahre bis Jahrzehnte hin", erläutert die Fachfrau. Wer Sorge hat, vielleicht sogar verschärft durch die Corona-Krise, einer Sucht zu verfallen, sollte sich möglichst Hilfe bei einer professionellen Beratung holen. "Gerade in diesen schwierigen Zeiten sollte man sich außerdem auch ganz bewusst Gutes tun und für sich selbst gut sorgen", rät die Leiterin der Fachstelle Sucht.
Wer in seinem Umfeld Suchtverhalten beobachte, müsse im Übrigen nicht nur tatenlos zusehen: "Man kann das Gespräch suchen, die eigene Wahrnehmung schildern und die eigene Sorge um den betreffenden Menschen ausdrücken", so Ohnemus-Wolf. Die Fachstelle Sucht bietet sowohl Angehörigen als auch Betroffenen kostenlose Beratung.
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