Zur Datenrettung kommt der Erbschein viel zu spät
Was passiert mit dem digitalen Nachlass?

Einfach nur sein Passwort an seine Erben weiterzugeben, reicht bei sozialen Netzwerken nicht aus.  | Foto: Daniel Hengst
  • Einfach nur sein Passwort an seine Erben weiterzugeben, reicht bei sozialen Netzwerken nicht aus.
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Ortenau (gro). Der Fall machte Schlagzeilen: Die Eltern eines jungen Mädchens, das bei einem Unfall mit ungeklärter Ursache ums Leben kam, wollen Zugriff auf den Facebook-Account ihrer Tochter. Doch der Betreiber verweigert diesen, argumentiert mit dem Schutz der anderen User. Der Account wurde durch den Betreiber in den "Gedenkzustand" versetzt, die Daten sind für die Angehörigen nicht zugänglich.
Für Rüdiger Wingert, Rechtsanwalt und Spezialist für Erbrecht in Lahr, ist dies ein großes Problem: "Im Bereich Kommunikation in sozialen Medien dominiert das vorrangige Bestreben der Betreiber, zur Entlastung der Netze schnellstens das gesamte digitale Erbe an Accounts bei Facebook eigenmächtig zu ,versenken', bevor die Erben davon überhaupt etwas mitbekommen." Für Wingert ein klarer Verstoß gegen geltendes Recht: "Unabhängig von ihrem Lebensalter erlangen Erben mit dem gesamten Nachlass auch die gesamten digitalen Rechte des Erblassers. Darüber haben Erblasser und Erben zu disponieren, nicht Netzbetreiber." Denn entgegen deren Wunschphilosophie seien die IT-Daten eines Erblassers nicht Teil des unvererblichen Persönlichkeitsrechtes, welches mit dessen Tod endgültig untergehe.
Doch was zählt zum digitalen Erbe? "Darunter fällt jede Art von Onlineaktivität, neben den eigenen Daten in Social-Media-Kanälen auch die Teilnahme am IT-Handel, Onlinekonten oder -mitgliedschaften", so Wingert. Im gewerblichen Bereich würde kein Unterschied zwischen Onlinebusiness und traditionellem Geschäft gemacht: "Die Geschäftsverbindungen werden mit den Erben ordnungsgemäß fortgeführt oder beendet." Dies gelte sowohl für Online-Banking als auch -Handel oder Anzeigengeschäfte. Das bestätigt Hartmut Stephan von der Sparkasse Kehl-Hanauerland: "Wenn Erben keine Kontovollmacht haben, muss der Erbschein vorgelegt werden, um über die Konten zu verfügen." So lange ruhe das Konto.
"Die großen IT-Anbieter wie Facebook oder Twitter ignorieren die verschiedenen nationalen Erbrechte", so Wingert. Hinzu komme, dass mehrere Monate nach dem Tod des IT-Nutzers vergingen, bis die Legitimation und Handlungsbefugnis der Erben nach nationalem Erbrecht zur Verfügung steht durch Testamentseröffnung oder den Erbschein. "So wird bei Facebook beispielsweise sofort nach Kenntnis vom Todesfall für das gesamte Profil des Erblassers der sogenannte ,Gedenkzustand' geschaltet, der Account ist für die Erben mit den bisherigen Anmeldedaten gar nicht mehr zugänglich. Der Erbschein als Legitimation kommt hier viel zu spät." Hier helfe nur eine kluge Vorsorgevollmacht ab dem Tod: Diese könne der Bevollmächtigte sofort nach dem Todesfall mit der Sterbeurkunde einscannen und dem Netzbetreiber zuleiten mit dem ausdrücklichen Verbot der Versenkung der Daten des Erblassers. "Wird der ausdrückliche Wille des IT-Erblassers oder Erben ignoriert, so kann aussichtsreich der Rechtsweg beschritten werden", macht Rüdiger Wingert deutlich.
Der Jurist empfiehlt drei Bausteine für die Regelung des digitalen Nachlasses: eine Festplatte oder ein Stick, Kennwort geschützt, mit gedruckter Zugangsliste zur Dokumentation aller relevanten Daten und Fakten einschließlich Benutzernamen, Kennworte und ähnliches, eine Vorsorgevollmacht für den gewünschten Vetreter mit Befugnis und Handlungsvorgaben bei Geschäftsunfähigkeit des Nutzers und ab dessen Tod sowie ein Testament mit klaren Vorgaben für das digitale Erbe.

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