Glosse im Guller
Jugendwort des Jahres und minus 1.000 Aura für mich

Viele Eltern haben den Eindruck, ihr jugendlicher Nachwuchs würde in einer anderen Sprache zu ihnen reden. Deshalb gibt es beim Langenscheidt-Verlag nicht nur die berühmten gelben Wörterbücher für Fremdsprachen, sondern auch das Lexikon "100 Prozent Jugendsprache". Darüber hinaus versetzt der Spezialist für Völkerverständigung die Menschen in Deutschland alle Jahre wieder mit der Wahl des Jugendworts in Staunen.
"Gammelfleisch-Party"
Erstmals wurde das Jugendwort des Jahres 2008 von einer Jury gekürt und löste zumindest bei mir Ratlosigkeit aus. Meine Tochter war damals 16 Jahre alt, sprach aber nie davon, "unterhopft" zu sein. So sagten Jugendliche wohl, wenn sie Lust auf Bier hatten. "Bildschirmbräune" schaffte es auf dem Jugendwort-Siegertreppchen auf den zweiten Platz und bezeichnete die käsige Gesichtsfarbe von Computernerds. Das kannte meine Teenie-Tochter damals genauso wenig wie das eigentliche Jugendwort des Jahres "Gammelfleisch-Party" für Ü-30-Feten. Heftige Sorge überfiel mich: Was war mit meinem Kind los? Warum sprach es nicht wie angeblich andere Jugendliche? Welche linguistischen Fehler hatte ich in der frühkindlichen Erziehung begangen, die sie nun zur verbalen Außenseiterin in ihrer Generation machten?

Dr. Sommer

Ich wollte mich schon an Dr. Sommer wenden, den Sorgenonkel der Jugendfachzeitschrift Bravo. Aber dann fiel mir auf, dass auch keiner ihrer Mitschüler diese Begriffe benutzte oder sonst ein Jugendlicher, den ich kannte. Dafür flossen sie in meinen Wortschatz ein und ich finde sie heute noch witzig. Liegt vielleicht daran, dass eine Erwachsenen-Jury sie damals gekürt hatte. Inzwischen entscheiden Teenies darüber, was ihr Wort des Jahres wird. 2024 ist es "Aura", dem ich nichts abgewinnen kann. Eine 16-Jährige würde vielleicht antworten: "Boah, wenn du unsere Wahl mies machst, gibt’s safe minus 1.000 Aura." Was soll's, ich finde, die Jugend hat ein Recht darauf, sich unverstanden zu fühlen.

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