Fußnote – die Glosse im Guller
Ein neuer Mann in meinem Leben

Es gibt einen neuen Mann in meinem Leben. Zuerst schickten wir uns nur Mails. Inzwischen haben wir aber auch schon ein sehr langes Telefonat geführt. Und es wird sicher nicht das letzte gewesen sein. Denn immer öfter zuckt es mich in den Fingern, seine Telefonnummer zu wählen. Oder kennen Sie sich etwa mit der neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung schon richtig aus? Falls ja, dann Gratulation, ich für meinen Teil bin bei Detailfragen immer noch auf den Fachanwalt angewiesen.

Tatsächlich habe ich die DSGVO, so wird das neue Regelwerk liebevoll abgekürzt, völlig unterschätzt. Unsere Redaktion treibt nämlich aus Prinzip kein Schindluder mit Adressen von Gewinnspielteilnehmern. Informationsquellen sind aus Eigeninteresse bei uns mindestens so gut geschützt wie die legendäre Coca-Cola-Formel. Davon abgesehen gibt es kaum Geheimnisse in unserer Redaktion. Schließlich schicken uns die Leute ja gerade deshalb Informationen, damit wir sie überall verbreiten. Ich sah meine Abteilung auf der sicheren Seite.

Doch dann kam diese Mail von dem gescheiterten Bürgermeisterkandidaten. In dieser verlangte er, dass wir alles über ihn aus unseren Archiven löschen. Ja, ich habe auch zuerst gelacht und geglaubt, da erlaubt sich jemand einen Scherz. Von wegen: Dieser Mensch, der vor gar nicht so langer Zeit wild mit beiden Armen winkte, damit Journalisten über ihn und seinen Herzenswunsch schrieben, berief sich jetzt auf das Datenschutzgesetz. Humbug war mein erster Gedanke.

Kurz darauf fiel allerdings mein Blick auf dieses Büchlein mit dem Titel EU-Datenschutz-Grundverordnung. Sie tritt erst am 25. Mai in Kraft. Aber welche bösen Folgen wird das für mich haben? Werde ich ab diesem Datum unser Archiv umschreiben müssen? Großes Mitleid überkam mich mit späteren Generationen von Historikern, die Quellen auswerten müssen, in denen steht: Auf den neuen Bürgermeister entfielen 80 Prozent der Stimmen, der, dessen Name nicht mehr genannt werden darf, unterlag mit 20 Prozent. Möglicherweise hätte die Welt nie erfahren, dass es Napoleon war, der damals in Waterloo scheiterte, hätte es die DSGVO damals schon gegeben.

Unter uns, ich würde der EU so etwas zutrauen. Glücklicherweise gibt es da den neuen Mann in meinem Leben, der es besser weiß. Er hat mir zugesichert, dass auch die Menschen über den 25. Mai hinaus noch nachlesen können werden, wer nicht Bürgermeister wurde. Das ist nun geklärt, doch ich fürchte, der Gesprächsstoff wird uns vorerst nicht ausgehen.
Anne-Marie Glaser

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