Fußnote
Die Goldene Datenleitung
Jedes Jahr ist Weihnachten. Vor allem ganz wichtig: Das Fest kommt immer zum selben Datum. Das kann man sich merken, wie den eigenen Geburtstag. Kinder, so zeigt die Erfahrung, können sich beides bestens merken. Doch auf einmal, so im letzten Drittel des Dezembers, steht es dann für einen Großteil der Erwachsenen doch unerwartet im Kalender.
Vor ziemlich genau zwei Jahren fasste die EU einen Beschluss. Nun ja, was soll die EU schon beschließen, was so wichtig ist, es sich zu merken. Zudem sind es ja noch zwei Jahre bis zum Stichtag. Es bleibt also genügend Zeit, sich damit auseinanderzusetzen. Doch in den vergangenen Tagen und schließlich vollends am Donnerstag brachte dieser Beschluss jedes Mailpostfach zum Bersten. EU-DSGVO – mehr muss nicht gesagt werden. Keiner weiß, was es heißt, noch weniger, was es bedeutet. Die neue EU-Datenschutz-Grundverordnung, so der Titel, soll mich, aber auch jeden anderen und jedermanns wertvolle Daten schützen. Daher hatten sich alle Versender verabredet, bis zum 25. Mai Mails zu verschicken, in denen ich, wahlweise aktiv oder passiv meine neuen Rechte wahrnehmen konnte. Weil es wie Weihnachten ist, haben das Mail viele eben erst auf den allerletzten Drücker, also am 24. Mai, verschickt.
So merkte jeder, in welche Mailverteiler er im Laufe der Jahre so geraten war, wo seine auf einmal so schützenswerten Daten schon genutzt wurden. Da wurde ich aufgefordert, aktiv per einfachem Klick zu bestätigen, dass ich weiterhin an dem Mailing interessiert sei. Andere teilten mir mit, dass ich getrost schweigen könne, um die Informationen auch in Zukunft zu erhalten. Wieder andere verlangten, dass ich das angehängte Formular aufgrund seines Dateiformats notgedrungen ausdrucken musste, um es dann dem Absender samt meiner Willenserklärung wieder zukommen zulassen – vielleicht etwa per Fax. Wer von sich behaupten kann, er habe alle Mails gelesen, verstanden und ordnungsgemäß behandelt, bevor sie gelöscht wurden, bekommt die Goldene Datenleitung von der EU-Kommission überreicht. – Sehen Sie, diesen Passus haben Sie spätestens in dem Datenwust überlesen. Dass EU-Politiker nicht immer wissen, was sie tun, zeigte sich bei der – vorsichtig ausgedrückt – Befragung von Facebook-Chef Mark Zuckerberg. Selbstdarstellung gehört wohl auch zur politischen Leitkultur.
Apropos Datenschutz. Amazon spricht von einer "unwahrscheinlichen" Verkettung von Ereignissen: Ein Paar aus den USA berichtet, ihr Alexa-Lautsprecher habe ein Gespräch in seiner Wohnung aufgenommen und dann ungefragt an einen Kontakt im Adressbuch verschickt. Nur durch den besorgten Anruf des Empfängers hätten die Betroffenen von der Sache erfahren. Das Thema des Gesprächs war wohl nur ein möglicher Holzfußboden in der Wohnung. Das mag beruhigen. Aber, wer weiß, welche Mitschnitte über brisantere Themen an andere Freunde verschickt wurde, die nie nachfragten. Sie sehen: Es wird nicht besser.
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