Psychotherapeut Michael Karle zur Angst nach dem Terroranschlag in Manchester
"Wir dürfen dennoch nicht grundlegend anders leben"

Eltern sollten sich Zeit nehmen, um mit Kindern und Jugendlichen über Terror zu sprechen, rät Michael Karle.^Foto: PB
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  • hochgeladen von Rembert Graf Kerssenbrock

Ortenau. Der Anschlag während des Konzerts von Ariana Grande im britischen Manchester war vor allem ein Angriff auf Kinder und Jugendliche. Während die Besucher am Ende den Saal verließen, ging eine Bombe hoch. Hilflos mussten Eltern, die draußen ihre Kinder abholen wollten, mit anhören, wie es drinnen zu einer Explosion kam und Panik ausbrach. Der Selbstmordattentäter riss 22 Besucher mit in den Tod. Menschen in der ganzen Welt sind geschockt, auch hier in der Ortenau.

Wie können Eltern mit ihrer und der Angst der Kinder umgehen, sollten sie Terroranschläge überhaupt thematisieren? "Ja", sagt Michael Karle, Diplom-Heilpädagoge sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut. Wie der Leiter der Psychologischen Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche des Ortenaukreises in Achern betont, sollten sich Eltern bewusst Zeit nehmen, um mit Kindern und Jugendlichen zu reden: "Eltern sind die wichtigsten Bezugspersonen, die Familie ist der Ort, an dem alles besprochen werden kann. Nicht zu reden, wäre eine ganz schwierige Botschaft, würde Kinder im Unklaren lassen, ob ihre Eltern denn überhaupt in der Lage sind, damit zurecht zu kommen." Wichtig sei dabei, dass Eltern die Gefühle der Kinder so annehmen, wie sie sind. Zu schnell könne aus guter Absicht herausrutschen: „Du brauchst keine Angst haben, ich bin ja da.“ Das helfe aber nicht wirklich.

"Gleichzeitig soll kind- und altersgerecht über Gefühle und schlimme Erfahrungen oder schlimme Bilder gesprochen werden. Kinder sollen nicht allein gelassen werden mit den Bildern und den Erfahrungen. Eltern sollen aber die mögliche Angst aus eigener Ohnmacht nicht noch zusätzlich vergrößern. Neben den Gefahren gibt es eben auch viele Menschen, die sich für die Sicherheit einsetzen. Es gibt Menschen, die verantwortlich etwas dazu tun, dass die Gefahr kleiner wird. Und auch die Eltern tun alles, um die Familie zu schützen", so Michael Karle.

Kinder und Jugendliche können ganz unterschiedlich auf Bedrohungen wie Terroranschläge reagieren. "Wenn die 16-Jährige am Samstag nicht mehr in die Disco will, ist das erstmal zu akzeptieren. Mit ihr über das zu sprechen, was sie beschäftigt, ist ebenso wichtig, wie über ihre konkreten Möglichkeiten, selbst so gut als möglich für ihre Sicherheit zu sorgen", erläutert der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut. Und wie ist es bei Sorglosigkeit? Michael Karle: "Wer in die Disco fährt, geht höhere Risiken ein, als einen Terroranschlag zu erleben. Insofern ist mir wichtig, dass Jugendliche sensibilisiert werden für alle möglichen Gefahren und genauso auch für die konkreten Möglichkeiten, die man hat. Ich erlebe, dass wir alle sensibilisiert sind in verschiedenen Bereichen, dass wir manche Dinge anders machen als vor diesen zahlreichen Anschlägen. Das ist gut so."

"Kindern wie Eltern wünsche ich bei allem Schock, auch wieder zur inneren Gegenposition zu kommen, zum eigenen Gefühl der Hartnäckigkeit, des Durchhaltens der guten Werte. Achtsamkeit auch in der Hinsicht ist gut, dennoch dürfen wir nicht grundlegend anders leben, weil es Terroranschläge gibt", rät der Psychotherapeut. "Die bewährten Werte des Rechtsstaates und der Demokratie werden hinterfragt. Ich bin überzeugt, dass in ihnen auch unsere gute Zukunft begründet ist. Disco, Theater, Gottesdienste oder andere öffentliche Feiern gehören zu unserem Leben. Nicht zuletzt und trotz aller Gefahren ist die Welt heute sicherer als früher."

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