Dr. Eugen Drewermann zu Gast bei den Lebenswegen in Offenburg
Märchen als Lebenshilfe - Von der Angst und Vertrauen

Irgendwie scheint Dr. Eugen Drewermann Offenburg in sein Herz geschlossen zu haben, denn er war Anfang Oktober dieses Jahres bereits zum dreizehnten Mal auf Einladung von Jasmin König und Dietmar Krieger von den Lebenswegen zu Gast in Offenburg. Als Wiederholungstäter mag er aber dann doch nicht bezeichnet werden. „Sagen wir lieber Überzeugungstäter“, wie der Paderborner Theologe und Tiefenpsychologe betont. Dass der Name Eugen Drewermann nach wie vor Zugkraft besitzt, zeigt nicht nur die sehr gut gefüllte Mensa am Schulzentrum Nordwest, sondern auch der Andrang an dem Büchertisch, auf dem seine zahlreichen Werke begutachtet werden können. Mit den Worten „Die Welt mit den Augen der Liebe zu sehen, sei die Botschaft von Eugen Drewermann für die wesentliche Sinnbegründung des Lebens“, stellt Jasmin König ihn seinen Zuhörern vor. „Was mich besonders fasziniert, ist diese sehr liebevolle Sicht des Menschen.“ Lächelnd tritt der Referent ans Mikrofon. „Von der Angst und ihrer Bewältigung“, ist das Thema des 78-Jährigen. Viele Jahre hat er sich intensiv mit der Weisheit der Märchen beschäftigt – insbesondere mit den Hausmärchen der Brüder Grimm – und sie tiefenpsychologisch gedeutet. Und die Angst als ein Grundphänomen lasse sich nahezu in allen Märchen ausmachen. Schnell zieht Drewermann die Zuhörerinnen und Zuhörer mit seiner klaren, ruhigen Stimme in seinen Bann. Drewermann ist als Kritiker und Mahner bekannt, und dem bleibt er auch jetzt treu. Als Grundlage seiner Ausführungen hat er sich eine kleine Geschichte der Grimms ausgesucht.
Sie heißt „Die Eule“ und die Analysen finden sich übrigens in Drewermanns neuem Buch „Wenn mir’s nur gruselte! Grimms Märchen tiefenpsychologisch gedeutet“. Er liest die Parabel vor. Eine Eule gerät nachts in die Scheune eines Bürgerhauses und traut sich nicht mehr heraus. Ein Knecht entdeckt das Tier und erschrickt. Immer mehr Bürger und ein tapferer Kriegsmann wagen sich in die Scheune und sind erschrocken über das „Ungeheuer“. Sie beschließen, die Scheune samt der Eule zu verbrennen. „Diese Geschichte erinnert an einen Schildbürger-Streich“, fasst der Theologe zusammen. „Sie zeigt, wie eine Massenpanik entsteht. Ein Schaustück, wie Menschen mit Angst umgehen.“ Doch auch die Eule, die für das Unbekannte steht, hat Angst. So ein Verhalten sei alltäglich und die Geschichte aktueller denn je. Er verwies dabei auf die nationale und internationale Politik. Für Drewermann ist klar: „Wenn das Volk Angst hat, werden die Mächtigen mächtiger.“ Das gelte zurzeit vor allem für das Thema Islamismus. „Und heute heißt die Eule Putin.“ Wie kommt man dagegen an? In den Dialog treten sei ein Anfang, so Drewermann. „Wir müssen uns mit der Eule verständigen.“

Angst ist im Grunde eine zentrale Emotion des Menschen und ein Warnsignal für gefährliche Situationen, das hilft, Schaden von uns abzuwenden. Viele große und kleine Ängste gehören zum Leben, doch es gibt eine Urangst, die seit Anbeginn der Menschheit besteht. Am tiefsten geht die Angst, die uns befällt, wenn wir bemerken, was es heißt, ein Mensch zu sein – die Angst, geistig zu existieren: als Einzelner, in Freiheit, hinwandernd zwischen Zeit und Ewigkeit. Sie ist in eigentlichem Sinne „Angst“, wie Sören Kierkegaard sie definierte. Sie steht im Hintergrund all der Befürchtungen inmitten einer Welt, die niemals unsere Heimat wird; sie nötigt uns die Frage auf, wie wir mit ihr verfahren. Für Drewermann können bei der Lösung der Ur-Angst Psychologie und Philosophie nur Wegweiser sein. Die Überwindung der Angst gelingt „allein im Vertrauen in eine andere Sphäre der Wirklichkeit, wie nur die Religion sie verheißt.“ Für ihn lässt sich ein solcher Halt im Absoluten nicht einfach verordnen.

Anhand von Märcheninterpretationen zeigte er an diesem Abend auf, was passiert, wenn dieser Halt uns fehlt. „Wir werden dann die Angst verdrängen oder anderen Angst machen oder die vermeintlichen Angstquellen auszuschalten suchen. In jedem Falle finden wir niemals uns selbst, gelangen wir nie wirklich zu den anderen und werden niemals Ruhe haben.“, so Dr. Drewermann.
Gefühlsfremdheit, Empfindungslosigkeit und eine Kälte, die uns selber unbegreifbar scheint, sind Zeichen solcher Angstverdrängung; Narzissmus, lchaufblähung und der Größenwahn von Zwergriesen sind mögliche Symptome des Alleingelassenseins in Angst; vor allem eine ständige Gewaltbereitschaft im eigenen wie im öffentlichen Leben kennzeichnet das Unvermögen, sich seiner Angst zu stellen und sie in einem größeren Vertrauen aufzulösen. Persönlich, zwischenmenschlich und politisch deformiert die Angst, wenn sie im Endlichen sich selbst unendlich setzt, das Beste, was wir sind: unser Verlangen nach der Wahrheit unseres Daseins, unsere Sehnsucht nach der Liebe und der Anerkennung anderer und unsere Fähigkeit, in Frieden, unbedroht, jenseits der Paranoia einer permanenten Gefahrenvigilanz, durch diese Welt zu gehen.

Die Anwesenden des Vortrages erlebten einen Eugen Drewermann übervoll des Mitgefühls, wortgewandt ohnegleichen und bestechend intelligent. Eine appellierende Stimme die durch die Zeit dringt. Seine unzähligen umfassenden Werke werden mit Sicherheit noch in einigen hundert Jahren gelesen werden.

geschrieben von Dietmar Krieger

Foto: Dr. Eugen Drewermann und Jasmin König & Dietmar Krieger von den Lebenswegen

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