Oberbürgermeisterin Jeanne Barseghian
Nach Straßburg wegen deutscher Erfahrungen
Straßburg. Im Vorzimmer der Straßburger Oberbürgermeisterin Jeanne Barseghian herrscht noch reger Betrieb, die meisten anderen Büros im Rathaus am Place de l'Étoile sind an diesem Abend bereits verlassen. Sie nimmt sich Zeit. Jeanne Barseghian wirkt nicht erschöpft, gibt aber zu, dass es ein intensiver Arbeitstag war – einer von vielen seit ihrem Amtsantritt am 4. Juli als Nachfolger von Roland Ries.
Geboren ist sie heute vor 40 Jahren in Suresnes, wenige Kilometer westlich von Paris. Nach dem Abitur mit 18 Jahren beginnt sie ihr Studium zu deutsch-französischem Recht in Nanterre bei Paris. Zwei Jahre studiert sie in Münster und Potsdam, macht einen französischen und einen deutschen Abschluss. Deutsch sprach sie schon vorher. "Meine Mutter spricht sehr gut Deutsch und sie wollte, dass ich ein zweisprachiges Gymnasium besuche", erzählt sie mit französischem Akzent. Über ihre Zeit im Nachbarland sagt sie mit einem Strahlen: "Eine tolle Erfahrung." Für eine Spezialisierung im Umweltrecht wollte sie 2002 nach Frankreich zurück. Aber nicht nach Paris. "Die Lebensqualität, die ich in Deutschland gefunden habe, hatte mich überzeugt." Die Straßburger Universität bietet ihr alles: den passenden Studiengang, eine europäische Hauptstadt und die Nähe zu Deutschland – "das war perfekt für mich".
Um ihre armenischen Wurzeln väterlicherseits zu verstehen und kennenzulernen – ihr Urgroßvater wurde als einer der ersten im Genozid durch Türken ermordet – lernte sie Armenisch und pendelte zwischen 2010 und 2012 zwischen der Kaukasusregion und dem Elsass. Umwelt und Tourismus waren die Schwerpunkte der Grünen-Politikerin dort. Zudem gründete sie in Straßburg einen armenischem Kulturverein. "Diese Erfahrungen sind für mich und mein Leben sehr wichtig", blickt Barseghian zurück.
Gemeinsamen Lebensraum gestalten
Sprache, das erlebt sie, ist ein zentraler Punkt. "Leider ist die Tendenz nicht gut, die Sprache des Nachbarn zu lernen", kritisiert die Oberbürgermeisterin. Zwar sieht sie auf beiden Seiten Konzepte, aber gleichzeitig auch ein fehlendes Interesse, sie umzusetzen. "Wir Politiker müssen überlegen, wie wir durch Treffen, gemeinsame Aktivitäten und Projekte das Interesse entwickeln", fordert sie. "Wir wollen, dass die deutsche Sprache präsenter ist im öffentlichen Raum Straßburgs und haben dafür Vorschläge gemacht", nennt sie Maßnahmen.
Ein Ansatzpunkt für Veränderungen sieht Barseghian im Eurodistrikt, in dem sie sich schon länger engagiert und zu dessen Vizepräsidentin sie am Donnerstag gewählt wurde. Daneben ist sie mit Kehls Oberbürgermeister Toni Vetrano einig, dass es einen Kooperationsrahmen für die zwei Städte geben muss, die einen gemeinsamen Lebensraum haben. "Denn in der Realität gibt es keine Grenze mehr. Wir waren im Frühjahr wie traumatisiert, als sie von einem Tag auf den anderen geschlossen wurde, ohne dass wir vor Ort gefragt wurden", beschreibt sie die Erfahrung. "So etwas darf nicht mehr passieren und unser Kampf war erfolgreich, wie man jetzt sieht", ist ihre Schlussfolgerung. Bürgerbeteiligung, Kultur und Sicherheit gehören zu den Themen, die lokal in einer Vereinbarung mit Kehl geregelt werden sollen.
Zu ihren politischen Zielen gehören, Straßburgs Position als europäische Hauptstadt und Sitz des Europaparlaments zu stärken und auch die Folgen von Umwelt- und Klimaproblematik einer Großstadt zu mindern. "Auch dazu brauchen wir die Unterstützung unserer deutschen Nachbarn", setzt sie sich für ihre neue Heimat ein, die sie als "Symbol der europäischen Demokratie" sieht.
Privat kennt Barseghian das Leben über den Rhein aus eigener Erfahrung. Ihr deutscher Lebensgefährte arbeitet in Freiburg. "Wir gehören zu diesen tausenden täglichen Grenzgängern." Für ihr Hobby hat sie inzwischen "leider keine Zeit mehr", gesteht sie ein. "Ich war zehn Jahre in zwei Straßburger Chören aktiv, 'Pelicanto' und einem Chor für klassische Musik." "Pelicanto" ist anders: bunt, schrill, Rock und Pop, verbunden mit der "Botschaft, sich gegen Diskriminierung einzusetzen". Wehmütig ergänzt sie: "Mir fehlt das Singen sehr" – und widmet sich auch an diesem Abend noch ihren Aufgaben als Oberbürgermeisterin.
Rembert Graf Kerssenbrock
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