Kurt Kern lebt seit 34 Jahren mit künstlichem Darmausgang
„Das Glauben können ist ein Geschenk“
Der Mann ist 62 Jahre alt, im Alter von 28 Jahren wurde bei ihm Darmkrebs diagnostiziert. Und er erinnert sich, was
er damals zunächst als bedrohlich empfand: „Ich kann nicht mehr
Handball spielen.“ Das tat Kurt Kern früher in seiner Heimatgemeinde
Meißenheim, wo er seit 2005 mit seiner Frau Traudel und dem aus
Brasilien stammenden, 25-jährigem Adoptivsohn Lukas wieder lebt. 32
Jahre Leben mit dem Darmkrebs. Es ist verwunderlich bis wunderbar, wenn
man mit Kurt Kern, seit 2007 als erster Badener Vorsitzender des
Landesverbands der Selbsthilfevereinigung ILCO, darüber spricht.
Die wesentlichen Stationen seiner Krankheits- und damit zusammenhängenden
Lebensgeschichte sind nüchtern bilanziert. 1978: Diagnose Darmkrebs,
Operation in Karlsruhe, Anlage eines künstlichen Darmausgangs. 1979:
Nach und nach Wiedereinstieg in die Arbeit mit Kriegsdienstverweigerern
und Zivildienstleistenden, Begleitung von Soldaten und Verweigerern zu
Truppendienstgerichten und Kriegsdienstverweigerungs-Ausschüssen. Besuch
von Zivis in Dienststellen bei Konflikten. Seminare für
Zivildienstleistende. Aufbau eines Netzes von Beratern/Beiständen für
den Bereich der Landeskirche Baden. 2005: Unter anderem nach
Mehrfach-Operationen im Bereich des künstlichen Darmausgangs beruflicher
Ausstieg und Verrentung.
Wie aber hat Kurt Kern das alles durch- und erlebt? Er war sozusagen „auf 180“, als er von seiner Krankheit erfuhr. Hatte bei der Firma Georg Dietrich – Spedition in Lahr und
Offenburg eine Ausbildung zum Speditionskaufmann absolviert, dann von
1968 bis 1971 an der Evangelischen Fachhochschule für Sozialwesen und
Religionspädagogik in Freiburg Religionspädagogik studiert. War 1972 bis
1977 als Religionspädagoge und Diakon in der Lörracher Kirchengemeinde
mit Schwerpunkt Arbeit mit sozial benachteiligten Kindern und
Jugendlichen tätig und baute in dieser Zeit ein noch heute bestehendes
Zentrum für Ganztagesbetreuung und berufliche Qualifizierung auf.
Schließlich die nächste berufliche Station als Beauftragter der Evangelischen
Landeskirche für Kriegsdienstverweigerer und Zivildienstleistende in
Karlsruhe. Und inmitten dieser Phase Darmkrebs. Blut im Stuhl hatte Kurt
Kern gehabt. Erste Diagnose: Hämorrhoiden. Dann Termin bei einem
anderen Arzt. „Der guckte rein und entdeckte einen Tumor“, erinnert sich
Kurt Kern. Eine Diagnose, die bei der Untersuchung einer bei einer
Darmspiegelung entnommenen Gewebe-Probe bestätigt wurde. Kurt Kern
verdrängte diese Fakten. „Ich habe mir gesagt, irgendwie mache ich
meinen Stiefel weiter“, beschreibt er seine damalige Gefühlslage. „Dann
aber ging es nicht mehr“. Dann nämlich, als er innerhalb von 14 Tagen
zehn Kilo abgenommen hatte und bei seinen zahlreichen Terminen darauf
angesprochen wurde.
Vor der OP im städtischen Klinikum in Karlsruhe erfuhr Kurt Kern, dass er einen künstlichen Darmausgang für
immer bekommen werde, „konnte aber damit nichts anfangen“. Er packte
seine Sachen und ging. „Bevor ich nicht weiß, was ein künstlicher
Darmausgang ist, lasse ich mich nicht operieren“, begründete er
gegenüber entsetzten Krankenschwestern und Ärzten seinen Abgang. Ließ
sich später aber doch operieren, nachdem er Kontakt mit einer Dame von
der Selbsthilfegruppe ILCO hatte. Und erfahren hatte, weshalb das
Klinikpersonal wegen seines Abgangs entsetzt war. Einige Betroffene
hatten sich zuvor nach der Diagnose das Leben genommen. Ihm selbst hat
geholfen, dass seine Frau, die er damals kennengelernt hatte, zu ihm
hielt, und ihm der Arbeitgeber seinen Arbeitsplatz offen hielt. „Ich war
nie so weit, als dass ich mit der Planung begonnen hätte“, sagt Kurt
Kern zum Thema Selbstmord nach einer Krebs-Diagnose, und weiß von vielen
anderen Schicksalen. „Glauben können ist ein Geschenk. Man kann wegen
einer brutalen Diagnose auch seinen Glauben verlieren.“ Er hat dies
nicht. Auch 34 Jahre nach der Operation, nach der ihm erklärt wurde,
dass nach fünf Jahren seine weiteren Überlebenschancen steigen.
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