Historische Bewirtschaftung im Jörgenwald
Multi-Kulti statt Monokultur
Neuried (st) Was auf den ersten Blick wie ein furchtbarer Kahlschlag im Ichenheimer Jörgenwald aussieht, ist in Wirklichkeit die positive Maßnahme des Neurieder Försters Gunter Hepfer, um in diesem Wald für mehr Artenvielfalt zu sorgen. Bis auf wenige einzelne Bäume sind auf rund zwei Hektar Fläche fast alle Hölzer gefällt worden, schreibt das Landratsamt in einer Pressemitteilung.
„Dahinter steckt das Konzept der sogenannten ‚Mittelwald‘-Bewirtschaftung, das bei uns in der Region bis vor ungefähr 100 Jahren noch allenthalben anzutreffen war“, erklärt Förster Hepfer. Es handle sich um eine seit Jahrhunderten gängige Waldnutzungsform. Bei diesem System wurde ein Waldstück in mehrere „Schläge“ unterteilt. In jedem Winter wurde einer dieser Schläge für die Brennholznutzung praktisch komplett abgeholzt. Allerdings ließ man alle paar Meter die schönsten Kernwüchse, also die sogenannten Schösslinge verschiedener Harthölzer wie Esche, Eiche, oder Ulme, als Oberhölzer stehen. Oder man pflanzte sie auf die Fläche, wenn sie nicht bereits von Natur aus vorhanden waren.
Zeit zum Nachwachsen
Hatte man beispielsweise ein Dutzend solcher Schläge, von denen nach und nach jeden Winter ein einzelner abgeholzt wurde, so hatte der erste vor der nächsten sogenannten „Schlagstellung“, also bevor er wieder zur Nutzung anstand, zwölf Jahre Zeit zum Nachwachsen. Bei vielen Laubhölzern geschieht das, indem die Stöcke der geernteten Bäume wieder austreiben, und zwar mit mehreren Trieben statt eines einzelnen Stammes. Diese Austriebe bieten sich für die Nutzung als Brennholz geradezu an. Die im Zwischenraum geschonten Bäume waren dann ebenfalls zwölf Jahre älter und entsprechend dicker.
Sinn und Zweck dieser Bewirtschaftungsform war die Deckung des Brennholzbedarfs einerseits, wobei gleichzeitig sichergestellt war, dass immer genügend Nutzholz zur Verfügung stand. Denn Holz war, vom Bauholz über Wagenräder und landwirtschaftliche Geräte bis zum Stopfei für fast alle Gegenstände des täglichen Lebens notwendig. Das gesamte Konzept beruhte auf dem Ansatz der Nachhaltigkeit (dieser Begriff stammt ursprünglich aus der Forstwirtschaft!), da man nie mehr einschlug, als nachwuchs.
Seit einigen Jahren steigt der Brennholzbedarf zwar wieder, und so wäre es naheliegend, den Vorteil eines Mittelwaldes auch heute noch in der Brennholzproduktion zu sehen. Das sei aber zu kurz gegriffen, meint Hepfer, weil der ökologische Wert dieser historischen Bewirtschaftungsform viel höher sei, als ihre reine Nutzfunktion. Denn viele verschiedene Baumarten bedeuten automatisch eine größere Artenvielfalt, seien es Pflanzen oder Tiere. Gut sehen kann man das an sonnigen Waldrändern, wo sie regelmäßig höher ist, als in einem dunklen Forst.
Die hohe Wertigkeit dieses Mittelwaldprojektes bestätigt auch Hans-Georg Pfüller, Leiter des Amtes für Waldwirtschaft des Ortenaukreises: „Der Neurieder Mittelwald ist ein hervorragendes Anschauungsobjekt für die Möglichkeiten, wie wir mit lichten Strukturen die Biodiversität unserer Wälder gezielt fördern können. Und gleichzeitig ist er quasi ein Freilandlabor: Hier können wir beobachten, welche Chancen uns diese für Südeuropa typischen Waldstrukturen zur Klimaanpassung unserer Wälder vor allem im Rheintal bieten können, wo wir in wenigen Jahrzehnten praktisch Mittelmeerklima bekommen werden.“
Schutzzweck angeordnet
Seit 2004 ist der Ichenheimer Jörgenwald ein sogenannter „Schonwald“. Dabei handelt es sich um ein Waldgebiet, dem ein bestimmter Schutzzweck zugeordnet wurde. Beim Jörgenwald ist dieser unter anderem der „langfristige Aufbau eines artenreichen Mittelwaldes“, wie es in der Schonwaldvorordnung heißt. Und artenreich bedeutet in diesem Fall, dass ein lichter Wald entstehen soll. Denn nur in einem solchen lichten Wald, dessen Bäume unterschiedlich alt sind und der infolgedessen aus mehreren „Stockwerken“ besteht und kein vollständig geschlossenes Kronendach hat, können sich viele verschiedene Baumarten nebeneinander dauerhaft etablieren. Im Jörgenwald werden in erster Linie die Lichtbaumarten wie Eiche, Kirsche, Wildbirne und Elsbeere davon profitieren. In einem dunklen Forst würden sie das Rennen um das Licht irgendwann verlieren und absterben. „Er ist außerdem Lebensraum für viele Tierarten, die bei uns mittlerweile geschützt sind, weil ihre Populationen über die letzten Jahrzehnte zurückgegangen sind“, wie Hepfer unterstreicht; beispielsweise der Wiedehopf, einige seltene Spechte oder die Waldschnepfe. „Das alles wird eindrucksvoll ersichtlich, wenn man sich auf dem Heuweg, der den Jörgenwald durchschneidet, um 180 Grad dreht und einen Blick in den direkt gegenüberstehenden Bestand wirft, der fast ausschließlich aus Roteichen besteht und entsprechend artenarm daherkommt. Im Sinne des Naturschutzes heißt es somit auch im Wald: Multi-Kulti statt Monokultur!“, macht Amtsleiter Pfüller deutlich.
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