Drohende Vereinsamung im Ruhestand
Trotz Behinderung aktiv und selbstbestimmt

Individuelle Betreuung und eine abwechslungsreiche Tagesgestaltung sind auch für Menschen mit Behinderungen im Rentenalter wichtig.  | Foto: Diakonie Kork
  • Individuelle Betreuung und eine abwechslungsreiche Tagesgestaltung sind auch für Menschen mit Behinderungen im Rentenalter wichtig. 
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Kehl-Kork (tf). Die Zahl älterer Menschen mit Behinderung wird in den nächsten Jahren ansteigen. Darum müssen jetzt Weichen für die Zukunft gestellt werden, um einen selbstbestimmten Ruhestand möglich zu machen. Die Lebenserwartung von Menschen mit einer lebenslangen Behinderung war noch nie so hoch wie heute. Das liegt zum einen an der verbesserten medizinischen Versorgung, zum anderen hatte aufgrund der Euthanasieverbrechen während des NS-Regimes bislang noch keine Generation von behinderten Menschen in Deutschland die Chance, alt zu werden. Somit erreicht jetzt erstmals eine größer werdende Gruppe von Menschen mit Behinderungen das Rentenalter.

Werkstatt als zweites Zuhause

Damit stehen die Einrichtungen vor einer neuen Herausforderung, wie Christian Ascherl, Leiter des Wohnverbundes der Diakonie Kork, erklärt: „Auch bei Menschen mit Behinderungen kann die Problematik der Vereinsamung im Alter oder das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, Thema sein.“ Für viele Personen sei die Werkstatt ihr zweites Zuhause, aufzuhören zu arbeiten, undenkbar. „Hier wäre beispielsweise ein Teilzeitmodell, ein langsames Abkoppeln eine gute Lösung“, so Ascherl. Leider sehe die Realität zurzeit anders aus. Im heutigen System der Hilfen für Menschen mit Behinderungen gebe es einen getakteten Tagesablauf: Aufstehen um 7 Uhr, dann kommt der Bus, der vom Wohnhaus in die Werkstatt fährt und um 16 Uhr geht es wieder retour. "Wenn nun jemand vor der Rente stehe, würde er vielleicht gern Teilzeit arbeiten oder einfach einmal nicht um 7 Uhr aufstehen müssen. Für diese Bedürfnisse gibt es aktuell aber keine Lösung“, berichtet Christian Ascherl.

Tagesbetreuung für Rentner

Seit 2015 gibt es bei der Diakonie Kork im Wohnverbund eine Tagesbetreuung für 30 Rentner, aufgeteilt in zwei Gruppen. „Hier arbeiten Altenpfleger, Heilerziehungspfleger und andere Mitarbeiter Hand in Hand zusammen, um ein breites Angebot zu ermöglichen“, so Ascherl. Ein Mensch mit Behinderung sollte ebenso frei entscheiden können, welche Angebote er wahrnehmen möchte und wie sein Tag aussehen soll wie jeder andere Rentner auch. Dazu müssten ausreichend Wahlmöglichkeiten und das Personal vorhanden und refinanziert sein. Es müsse Chancen der effektiven Mitbestimmung geben, damit Angebote gestaltet werden könnten, die den Vorstellungen der Menschen entsprechen.

Kleinere Wohneinheiten

„Wir arbeiten auf kleinere Wohneinheiten hin. Statt aktuell durchschnittlich acht Bewohner in einer Gruppe, wären auch vier Bewohner gut denkbar“, führt Ascherl aus. In diesen Kleingruppen würden sich geschulte Fachkräfte um die individuellen Bedürfnisse der Bewohner kümmern. „In der Wohngruppe wäre ständig ein Betreuer anwesend, um die Selbstbestimmung auch im zeitlichen Bezug zu gewährleisten“. Für eine Gestaltung des Ruhestandes seien eine bedarfsgerechte Basisversorgung, die Abstimmung von Angeboten und eine bedarfsflexible Verknüpfung von unterschiedlichen beziehungsweise interdisziplinären Dienstleistungen unverzichtbar. Eine entscheidende Aufgabe der nächsten Jahre werde daher sein, die Strukturen von Einrichtungen und Diensten so weiterzuentwickeln und ihre Mitarbeiter zu qualifizieren, dass sie in der Lage seien, den Ansprüchen der neuen Zielgruppe nach Selbstbestimmung und Teilhabe gerecht werden zu können. „Wir arbeiten an neuen Denkansätzen und flexiblen Lösungen, um Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit zu einem selbstbestimmten Ruhestand zu geben,“ sagt Ascherl. Dies gehe jedoch nur gemeinsam mit kulturellen, kirchlichen, sozialen Einrichtungen und mit Vereinen und Diensten vor Ort, also mit gelebter Inklusion.

Dorfgemeinschaft

Darum habe gerade die Diakonie Kork mehrere Wohnhäuser in verschiedenen Gemeinden neu gebaut. „Hier können die Menschen in den Angelverein gehen, manche sind in der Narrenzunft – und wenn man vor der Rente schon in der Dorfgemeinschaft verwurzelt ist, ist der Cut später nicht mehr so groß“, meint Christian Ascherl. Seinen Hobbys nachgehen, den Tagesablauf weitgehend selbst bestimmen und in einem wohlwollenden sozialen Umfeld leben – das sei der Wunsch jeden Rentners, ob mit oder ohne Behinderung. „Gemeinsam arbeiten wir daran, diese Wünsche jetzt und in Zukunft wahr werden zu lassen“, so der Leiter des Diakonie-Wohnverbundes.

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