Einwohnerversammlung in Kehl
Beteiligung und Zukunft der Innenstadt

Das Podium (v. l.): Jürgen Fleckenstein, Joachim Beck (beide Hochschule Kehl), Norbert Brugger vom Städtetag Baden-Württemberg, Thomas Brinkmann von der Interessengemeinschaft Kehl-Kernstadt und Oberbürgermeister Wolfram Britz | Foto: Stadt Kehl
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  • Das Podium (v. l.): Jürgen Fleckenstein, Joachim Beck (beide Hochschule Kehl), Norbert Brugger vom Städtetag Baden-Württemberg, Thomas Brinkmann von der Interessengemeinschaft Kehl-Kernstadt und Oberbürgermeister Wolfram Britz
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Kehl Rund 500 Bewohner aus der Kernstadt und Sundheim kamen zur Einwohnerversammlung – und blieben gute dreieinhalb Stunden lang. Lauten Beifall gab es aus dem Saal für positive Äußerungen zur Einrichtung eines Ortschaftsrats in der Kernstadt, ebenso wie für die Forderung, am Bahnhof eine öffentliche Toilette zu errichten. Dass die Nachfrage nach Betreuung für Klein- und Grundschulkinder in einigen Bereichen das Angebot übersteigt, zeigten weitere Beiträge aus der Zuhörerschaft. Einige kritische Stimmen gab es zur Idee, ein Rheinschiff auf dem Marktplatz aufzustellen. Hier wünschten sich manche Teilnehmende Entsiegelung und mehr Grün. Einwohner hörten sich die Vorträge sowohl der externen Experten als auch der Verwaltungsvertreter konzentriert an; die Fragerunden verliefen diszipliniert und respektvoll.

Ortschaftrat? Bezirksbeirat?

Gleich zu Beginn der Einwohnerversammlung erteilte Oberbürgermeister Wolfram Britz dem Sprecher der Interessengemeinschaft Kernstadt das Wort: Thomas Brinkmann hielt ein flammendes Plädoyer für die Einführung eines Ortschaftsrates für die Kernstadt mit Sundheim. Bürgerbeteiligungsformate, wie sie Wolfram Britz blitzlichtartig vorgestellt hatte, würden in der Bürgerschaft kaum wahrgenommen – während ein Ortschaftsrat eine hohe Aufmerksamkeit genieße. „Nur ein Ortschaftsrat ist demokratisch gewählt und verfügt über umfassende Vorschlags- und Beschlussrechte“, begründete er die Forderung der IG. Die große Resonanz auf den Bürgerabend zeige, dass man aus der niedrigen Wahlbeteiligung in der Kernstadt nicht schließen könne, dass sich die Einwohnerinnen und Einwohner für eine politische Teilhabe nicht interessierten.

Bedingungen

Um die Einrichtung eines Ortschaftsrates für die Kernstadt mit Sundheim zu beschließen, bräuchte es im Gemeinderat eine absolute Mehrheit, also mindestens 14 Stimmen, erläuterte Jürgen Fleckenstein, Professor für Kommunalrecht an der Hochschule Kehl, in seinem Fachvortrag. Ein Ortschaftsrat der Kernstadt müsse mindestens einmal im Monat tagen, mit hoher Wahrscheinlichkeit aber eher mehrmals. Gerade weil die Ortschaftsverfassung den Kehler Ortschaften großzügigere Zuständigkeiten einräumt, als das in vielen anderen Städten üblich sei, ergebe sich eine hohe Rechtsunsicherheit.

Konkret bedeutet dies: Wird das Anhörungsrecht des Ortschaftsrats verletzt, ist der Gemeinderatsbeschluss in der entsprechenden Angelegenheit nichtig. Weil ein Ortschaftsrat der Kernstadt zu den meisten Tagesordnungspunkten des Gemeinderats im Vorfeld gehört werden müsste, würden sich die Entscheidungsprozesse verlängern. Auch die Frage, ob ein ehrenamtlicher Ortsvorsteher für einen Ortschaftsrat für fast 22.000 Einwohner ausreichen würde oder ob in diesem Fall ein Hauptamtlicher diese Aufgabe übernehmen müsste, stellte Jürgen Fleckenstein in den Raum. Unabhängig von der gewählten Lösung hält der Professor jährliche Kosten in sechsstelliger Höhe für einen Ortschaftsrat für realistisch.

Die Mitglieder eines Bezirksbeirats für die Kernstadt würden nicht von den Bürgern, sondern vom Gemeinderat gewählt. Ein Bezirksbeirat hätte ein Anhörungsrecht im Gemeinderat, aber keine Entscheidungsbefugnisse. Die Rechtsunsicherheit bestünde aufgrund der Anhörungspflicht jedoch in ähnlicher Weise wie beim Ortschaftsrat. Ein Bezirksvorsteher ist hier nicht zwingend erforderlich; die Sitzungen könnten auch vom OB geleitet werden. Als weitere Beteiligungsformate benannte Professor Fleckenstein den beratenden Ausschuss für Angelegenheiten der Ortschaft in Oberkirch und den Ortsrat in Oberachern, der sich aus Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Vereinen und Kirchen zusammensetzt.

Norbert Brugger, Dezernent beim Städtetag Baden-Württemberg, stellte dar, dass von 1101 Kommunen im Land 403 über eine Ortschaftsverfassung verfügen. Nur zehn Kommunen davon haben jedoch auch einen Ortschaftsrat für den Kernort. Dabei handelt es sich durchweg um Gebietskörperschaften, die deutlich kleiner sind als Kehl. Die größte und einzige Kommune mit mehr als 10.000 Einwohnern und einem Ortschaftrat für den Kernort ist Willstätt. Er berichtete auch von der Diskussion in Aalen (69.000 Einwohner), wo die Einführung eines Ortschaftsrates für die Kernstadt mit 27.000 Bewohnern beraten und mit großer Mehrheit abgelehnt worden sei. Verwundert zeigte sich Norbert Brugger über den Umstand, dass in Kehl nur sechs von 26 Stadträten aus der Kernstadt kommen: „Das ist in anderen Städten nicht so.“

Die Einwohner, die sich zu den Beteiligungsformen in der von Dr. Thomas Uhlendahl moderierten Diskussion zu Wort meldeten, machten deutlich, dass die Kosten eines Ortschaftsrates für sie kein Gegenargument darstellen: Auch die Ortschaftsräte in den zehn Kehler Ortschaften hätten schließlich ihren Preis, hieß es. Andere Teilnehmende machten ihrem Frust darüber Luft, dass die Kernstädter aus ihrer Sicht „seit 40 Jahren nicht mehr gehört werden“. Diskutiert wurde auch, mit welchen Befugnissen ein Ortschaftsrat der Kernstadt ausgestattet sein sollte – während Mitglieder der IG Kernstadt für eine Gleichbehandlung plädierten, warf Oberbürgermeister Wolfram Britz die Frage auf, ob dies überhaupt möglich sei: Schließlich gebe es im Falle der Ortschaften Eingemeindungsverträge, die weiterhin gültig seien, für die Kernstadt aber nicht.

Den Gemeinderäten wurde von Teilnehmenden zwar bescheinigt, dass sie die Interessen der Kernstadt verträten und diese in den vergangenen Jahren auch gut vorangebracht hätten, dennoch fehle es für die Einwohner an Transparenz: „Jede Ortschaft hat berechtigte Wünsche und Anfragen. Als Innenstadtbewohnerin kann ich nirgendwo hingehen und meine Wünsche einbringen“, klagte eine Kernstädterin: „Wir haben keine Möglichkeit mitzureden.“ OB Britz verwies auf die Einwohnerfragestunde zu Beginn jeder Gemeinderatssitzung, auf seine monatlichen Bürgersprechstunden, die gut genutzt würden und auch darauf, dass sich Kernstädterinnen und Kernstädter jederzeit an die Fraktionen im Gemeinderat wenden könnten.

Welche Projekte stehen an?

Das geplante Sanierungsgebiet von der Stadthalle entlang der Hauptstraße bis zum Hanauer Museum stellte Beigeordneter Thomas Wuttke kurz vor. Er machte einmal mehr deutlich, dass es zum einen um Stadtgestaltung, zum anderen aber auch um eine Verbesserung des Stadtklimas in diesem Bereich gehen wird. Nach dem Beschluss des Gemeinderats hat die Stadt die Aufnahme ins Städtebauförderprogramm beantragt. Zuschüsse erhofft sich die Stadt dadurch auch für den Neubau eines Verwaltungsgebäudes. Der ist dringend notwendig, weil der Platz für die Mitarbeitenden nicht mehr ausreicht und aus energetischen Gründen nicht mit vernünftigem Aufwand sanierbare Gebäude aufgegeben werden sollen. Entlang der Hauptstraße gilt es zu prüfen, welche Flächen entsiegelt werden können, um die zunehmende Hitze im Sommer etwas zu mildern. Weil die Sanierung dieses Abschnitts schon länger vorgesehen ist – die letzte Planung stammt von 2016 – fragte ein Bürger nach dem Zeitplan: Der Umsetzungszeitraum betrage etwa zehn Jahre, erklärte Thomas Wuttke, dann müsse das Sanierungsgebiet abgerechnet sein, damit keine Zuschüsse verloren gehen.

Auf die Umgestaltung des Rosengartens stimmte der Leiter des städtischen Betriebshofs, Peter Grün, ein. Er zeigte die Defizite des zur Gartenschau angelegten Gartens auf und kündigte an, dass Bürgerinnen und Bürger sich bei der Neuanlage einbringen können. Über den Winter möchte der Betriebshof die sogenannten Gastroterrassen, also Holzpodeste einbauen, mit denen sich der Rosengarten zur Jahnstraße hin öffnet.

Aufgrund der Vielfalt der Themen stark gestrafft, fasste Thomas Wuttke das größte Schulsanierungsprogramm zusammen, das die Stadt je aufgelegt hat. In dessen Rahmen sei die Guggenmos-Schule quasi neu gebaut und mit der Kindertageseinrichtung und dem Jugendtreff zu einem Zentrum verschmolzen. Die Sanierung im Einstein-Gymnasium sei inzwischen fast abgeschlossen, die in der Hebelschule laufe. Zur Modernisierung gehöre auch, dass man die Schulen digital fit mache, erklärte der Baudezernent. Er bedauerte einmal mehr, dass für den Ausbau der Nachmittagsbetreuung an den Grundschulen – der Rechtsanspruch für die Erstklässler kommt zum Schuljahresbeginn 2026/2027 – noch keine Vorgaben des Landes vorlägen und die Stadt daher nicht handlungsfähig sei.

Diskutiert wurde über die Grundschule Sundheim: Während Eltern von Grundschülern beklagten, dass die Kinder nun bereits seit vier Jahren in der weiter entfernten Wilhelmschule untergebracht seien, sorgten sich andere Teilnehmende um die Zukunft des Schulhauses. Das stehe unter Denkmalschutz und könne gar nicht abgerissen werden, beruhigte Thomas Wuttke. Er erinnerte daran, dass die Grundschule umziehen musste, weil die Rettung von 20 Kindern aus dem Dachgeschoss im Falle eines Brandes nicht hätte gewährleistet werden können. Dass die Grundschülerinnen und -schüler in einem anderen Schulhaus hätten untergebracht werden können, bezeichnete er als „Luxusmöglichkeit“, in anderen Städten würden Kinder über viele Jahre hinweg in Containern unterrichtet. „Ein Schulhaus baut man nicht mal eben schnell.“ Er berichtete von Überlegungen, in Sundheim, in der Nachbarschaft der Albert-Schweitzer-Schule, eine neue Grundschule zu errichten. Aufgrund der stark steigenden Schülerzahlen brauche man eine zusätzliche Klasse.

Dass dies für arbeitende Eltern, die auf Betreuungsplätze angewiesen seien, eine schwierige Situation sei, dafür zeigte er ebenso Verständnis wie OB Wolfram Britz. Auf die Frage nach einer digitalen Anmeldungsmöglichkeit für die Ganztagsbetreuung an Schulen verwies Patrik Hauns auf das Land: Die Städte warten auf die einheitliche Lösung des Landes, die in Vorbereitung sei.

In Beteiligungsrunden mit dem Einzelhandel, dem Hafen und der Industrie- und Handelskammer sei die Idee entstanden, ein Rheinschiff auf dem Marktplatz aufzustellen – als Identifikationsmerkmal, Fotomotiv und „um ein Schiff in die Stadt zu bringen“, erläuterte Wolfram Britz die Entstehungsgeschichte des Projekts, das zweimal im Gemeinderat vorgestellt und dann vertagt wurde. Es gehe auch darum, dass sich Kehl als Hafenstadt darstelle; er verwies auf den 2025 anstehenden 125. Hafengeburtstag.
Einwohnerinnen und Einwohner, die an die Mikrofone in der Stadthalle traten, sahen das Schiff auf dem Marktplatz eher kritisch, wünschten sich stattdessen Entsiegelung und mehr Grün. Das Schiff passt aus ihrer Sicht eher in den Garten der zwei Ufer oder an den Altrhein. Andere sorgten sich um die Folgekosten für das Rheinschiff, das ja regelmäßig gereinigt werden müsse. Der OB berichtete, dass mobile Grünelemente für den Marktplatz bereits bestellt seien und zur nächsten Vegetationsperiode aufgestellt würden. Das Ortschaftsbudget der Kernstadt, mit dem das Schiff finanziert werden könnte, wollten einige Diskussionsteilnehmerteilnehmer lieber für die seit vielen Jahren diskutierte Toilette am Bahnhof eingesetzt wissen. „Die Toilette ist eine Lebensnotwendigkeit“, erklärte eine Einwohnerin, gerade weil so viele Menschen mit Zug und Tram dort ankämen, vor allem auch für Ältere und für Menschen mit Beeinträchtigungen. Der Gemeinderat hat bereits beschlossen, eine Toilette im Bahnhofsbereich im nächsten Doppelhaushalt, also 2025/2026, umzusetzen.

Das Podium (v. l.): Jürgen Fleckenstein, Joachim Beck (beide Hochschule Kehl), Norbert Brugger vom Städtetag Baden-Württemberg, Thomas Brinkmann von der Interessengemeinschaft Kehl-Kernstadt und Oberbürgermeister Wolfram Britz | Foto: Stadt Kehl
Rund 500 Bürger nahmen an der Einwohnerversammlung der Kehler Innenstadt teil. | Foto: Stadt Kehl

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