Angedacht: Christian Meyer
Ein Schlag ins Gesicht des Präsidenten
Damien Tarel ist Ende 20 und wahrscheinlich ziemlich enttäuscht vom Leben. Der junge Franzose mit den langen Haaren lebt in einer Kleinstadt an der Rhone. Dort schlägt er sich so durch, meist wohl mit befristeten Jobs. In seiner Freizeit trainiert er Kampfkünste aus dem Mittelalter. Als Emmanuel Macron in seine Stadt kommt, steht Tarel in der ersten Reihe der wartenden Menge. Macron läuft freudig mit Personenschützern auf die Menschen zu. Als erstem will er Tarel die Hand geben. Da holt Tarel aus und schlägt dem Präsidenten auf die linke Wange.
"Auge um Auge, Zahn um Zahn..."
Als ich das Video dieser Attacke sehe, muss ich an die Bergpredigt denken. Da rät Jesus uns, wenn wir angegriffen werden: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage Euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Bösen, sondern: Wenn Dich jemand auf Deine rechte Wange schlägt, dem biete die andere auch dar.“ Der Benediktiner Anselm Grün sagt sinngemäß dazu: „Gott schenkt Dir Würde durch seine Liebe. Diese Würde kann Dir kein Mensch nehmen. Nicht einmal durch die Erniedrigung mit einer Ohrfeige. Trägst Du Gottes Würde im Herzen, kannst Du lernen, in Konflikten mit aggressiven Menschen auf Gewalt zu verzichten.“
Sicher kennt auch Emmanuel Macron, den die Personenschützer sofort in Sicherheit bringen, Jesu Worte vom Gewaltverzicht. Ob sie ihn nach dieser Ohrfeige inspirieren, wissen wir nicht. Aber ich denke, Macrons Reaktion könnte Jesus und Anselm Grün gefallen: Macron sammelt sich kurz. Dann geht er zurück zu den Menschen. Ruhig und fröhlich schüttelt er ihre Hände. Er schimpft nicht und droht niemandem. Er hält dem Angreifer, der sofort verhaftet wird, zwar nicht noch die rechte Wange hin. Dafür verzichtet er aber auf eine Anzeige. Damien Tarel, in dessen Wohnung Polizisten später Hitlers Buch „Mein Kampf“ finden, wird dann zu vier Monaten Gefängnis verurteilt, 14 Monate bekommt er auf Bewährung.
Hoffen wir für ihn, dass auch er in dieser Auszeit lernt, in seinen Konflikten in Zukunft auf Gewalt zu verzichten.
Pfarrer Christian Meyer, evangelische Kirche Haslach
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