Überbordende Bürokratie
IHK-Umfrage offenbart bedenklichen Trend

Ortenau (st) Zähe Genehmigungsverfahren und kleinteilige Dokumentationspflichten werden immer mehr zum Hemmschuh für die deutsche Wirtschaft – und zu einem echten Standortnachteil. Laut der aktuellen Bürokratie-Umfrage für die Region Stuttgart hat die Belastung nach Einschätzung der Unternehmen erheblich zugenommen. Zwei Drittel der teilnehmenden Unternehmen hinterfragen inzwischen ihr Engagement in Deutschland. „Die Ergebnisse dieser Studie sollten auch die Letzten wachrütteln“, sagt Dr. Dieter Salomon, Hauptgeschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein.

Deutlich erhöht

In der Wahrnehmung der Unternehmen hat sich der Bürokratieaufwand in den vergangenen fünf Jahren noch einmal deutlich erhöht. Lag bei der Bürokratie-Umfrage 2019 der Durchschnittswert auf einer Skala von 1 bis 10 (1: keine Belastung, 10: sehr starke Belastung) noch bei 5,3, stieg er jetzt auf 7,8. Von allen Unternehmen, die angaben, einen weiteren Standort im EU-Ausland zu haben, bewerteten fast 78 Prozent die dortige Belastung als niedriger oder sogar viel niedriger. „Das überrascht mich nicht“, sagt Salomon, „denn leider macht es sich unser Gesetzgeber seit Jahren zur Aufgabe, es bei der Anwendung des EU-Rechts nicht nur besonders genau zu nehmen, sondern sogar noch einen draufzusetzen. Diese Praxis wird immer mehr zum Wettbewerbsnachteil für unsere Unternehmen und gefährdet den Wirtschaftsstandort.“
Tatsächlich bereuen 36 Prozent der befragten Unternehmen aufgrund des hohen Bürokratieaufwands inzwischen ihr Engagement in Deutschland; 33 Prozent sind sich unsicher, ob sie sich noch einmal in Deutschland niederlassen würden. „Das sind alarmierende Signale“, sagt Salomon, „unsere Unternehmen müssen endlich entlastet werden, der Wildwuchs an Bürokratie muss ein Ende haben.“ Sechs von zehn Unternehmen gaben an, die Wertschöpfung um mindestens zehn Prozent steigern zu können, wenn sich die bürokratischen Anforderungen auf ein notwendiges Minimum reduzieren ließen. Kleinbetriebe benötigen für das Erledigen der Verwaltungs- und Dokumentationspflichten im Durchschnitt fast elf Stunden pro Woche. Um den täglichen bürokratischen Aufwand zu bewältigen, ist oft zusätzliches Personal erforderlich. 71 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, zusätzliche Mitarbeiter eingestellt zu haben. 88 Prozent nehmen die Hilfe externer Dienstleister in Anspruch.
In Abstimmung mit ihren Mitgliedsunternehmen fordern die Industrie- und Handelskammern seit Jahren, dass die Verwaltungsprozesse endlich digitalisiert werden; dass sich Verfahren beschleunigen; dass der Umfang der Unterlagen abnimmt; dass die Vielzahl an Datenschutzvorschriften reduziert werden; dass die zuständigen Behörden klarer und schneller kommunizieren.

Zeitaufwändig und kompliziert

Seit dem 23. Oktober 2023 steht IHK-Geschäftsführer Dieter Salomon an der Spitze des Normenkontrollrats und soll im Auftrag von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann beim Bürokratieabbau auf Landesebene mithelfen. Das Gremium hat sich unlängst in einer Untersuchung mit der Frage beschäftigt, wie sich Förderprogramme, die der Wirtschaft zugutekommen, vereinfachen lassen. „Das Land hat eine Vielzahl an Förderprogrammen“, sagt Salomon. „Doch die Anträge sind so zeitaufwändig und kompliziert, dass viele Unternehmen lieber auf das ihnen zustehende Geld verzichten.“ Die Untersuchung hat ergeben, dass 40 Prozent des bürokratischen Aufwands bei den Antragstellern wegfallen könnten. Eine große Erleichterung wäre dabei allein schon die Einführung einer verständlichen Sprache.
Für die IHK-Bürokratie-Umfrage wurden zwischen dem 28. Mai und dem 7. Juni 2024 Unternehmen aller Größen und Branchen in der Region Stuttgart befragt. Vollständig ausgefüllt hatten den Fragebogen insgesamt 587 Unternehmen. Der Ruf nach Bürokratieabbau ist ein Dauerthema der IHK, das sich zuspitzt.

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