Jochen Schultz im Interview
"Muss China auch andere Seite zugestehen"

Die Chinesische Mauer ist eines der Wahrzeichen im Reich der Mitte. | Foto: ag
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  • Die Chinesische Mauer ist eines der Wahrzeichen im Reich der Mitte.
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Ortenau. Auch aufgrund der Olympischen Winterspiele in Peking ist das Reich der Mitte wieder besonders stark in den Fokus der Berichterstattung  gerückt. Dabei war der Sport nicht immer das Hauptthema, sondern bisweilen standen Politik sowie Menschen- und Freiheitsrechte im Mittelpunkt. Dass China aber auch andere Facetten zu bieten hat und was Reisende und Unternehmen vor Ort erwarten können, erzählt Jochen Schultz, Zweiter stellvertretender Vorsitzender vom China Netzwerk Baden-Württemberg e. V. (CNBW), im Gespräch mit Matthias Kerber.

Was können Besucher erwarten, wenn sie nach China reisen?
Mal abgesehen davon, dass derzeit aufgrund von Corona die Einreise nach China nicht möglich ist, wird man eine faszinierende Welt erleben. Vor Ort ist es anders, als man es sich vorgestellt hat. Man landet in einem hochmodernen Land. Beeindruckend ist auch die Masse an Menschen. Das wirkt oft ziemlich wuselig (lacht).

Wann haben Sie China das erste Mal bereist?
Ich war vor rund 13 Jahren das erste Mal als Tourist dort. Zwischen 2011 und 2014 habe ich in China gelebt, unter anderem in Nanjing, Shanghai und Taian.

Wie hat sich das Land in der Zwischenzeit verändert?
Es hat eine enorm schnelle Modernisierung stattgefunden, die durch einen sehr hohen Digitalisierungsgrad wahrnehmbar wird. In China wird fast ausschließlich digital mit dem Smartphone bezahlt. Selbst der Bettler auf der Straße verfügt über einen QR-Code, über den gespendet werden kann.
Das Land hat sich in vielen Bereichen unglaublich entwickelt. Teilweise sind die Chinesen weiter als wir, weil sie später in bestimmte Prozesse eingestiegen sind und somit einige Stufen gleich übersprungen haben. Auch Städte und die Infrastruktur wurden massiv ausgebaut.

Wie frei kann man sich vor Ort bewegen?
Meine persönlichen Erfahrungen waren durchweg positiv. Sobald man im Land ist, kann man sich frei bewegen und reisen, egal ob als Tourist oder Unternehmer. Corona schränkt natürlich massiv ein. Einschränkungen und Quarantänemaßnahmen gelten für Chinesen und Ausländer gleichermaßen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass unter dem Deckmantel der Corona-Maßnahmen viele Hemmnisse umgesetzt werden. Diese politische Verhärtung ist natürlich nicht hilfreich.

Wie aufgeschlossen sind die Chinesen gegenüber Ausländern?
Ich nehme die Chinesen als sehr neugierig und gastfreundlich wahr. Früher galt man als Exot außerhalb der großen Metropolen und vor allem in ländlichen Gegenden. Das ist heute dort längst nicht mehr überall der Fall. Chinesen sind in der Regel aufgeschlossen und hilfsbereit. Und: China ist ein vergleichsweise sicheres Land.

Wie schwer ist die Kontaktaufnahme mit den Einheimischen?
Man kommt schnell ins Gespräch – allerdings nur, wenn es keine Sprachbarrieren gibt. Allerdings sprechen sehr viele junge Chinesen Englisch, und das erstaunlich gut. In den Großstädten gibt es viele internationale Viertel, in denen auch Chinesen leben. Dort kommt man naturgemäß schnell miteinander in Kontakt. Taxifahrer sprechen in der Regel nur die eigene Sprache. Man sollte immer einen Stadtplan zur Hand haben und zeigen, wohin man will. Sonst wird es schwierig.

Und wie können Unternehmen in China Kontakte knüpfen?
Chinesische Unternehmen sind sehr bemüht, Geschäftskontakte aufzubauen. Deutsche Unternehmen wollen vertrauenswürdige Partner. Da man jetzt erstmal nicht mehr reisen kann, wird auch die Lieferantensuche schwieriger. Das CNBW als eine zentrale Plattform hilft beiden Seiten bei der Kontaktaufnahme. Das tun aber auch Verbände und die IHK. Wir richten uns zum Beispiel auch an Hochschulen, Universitäten und kulturelle Einrichtungen. Wir haben in China Ansprechpartner für Mitglieder und andere Interessierte. Insgesamt läuft die Zusammenarbeit gut, schließlich ist China einer der wichtigsten Handelspartner, was die Zahlen eindrücklich belegen.

Auf was müssen sich Unternehmen einstellen, wenn sie im Reich der Mitte investieren möchten?
Hierbei gibt es einige Punkte zu beachten. Zum einen findet man in China ein vollkommen anderes rechtliches, politisches und kulturelles System vor. Vor diesem Hintergrund müssen Unternehmen ihre eigene Erwartungshaltung hinterfragen. Ohne professionelle Vorbereitung geht nichts. Und oft wird auch der Zeitfaktor unterschätzt. Der deutsche Manager will alles möglichst schnell erledigen. Das kommt in China schlecht an. Zudem werden dort deutsche Unternehmen nicht automatisch als Priorität Nummer eins gesehen. Viele chinesische Firmen haben längst andere Großabnehmer, vielfach auch im eigenen Land. Schon aus diesem Grund ist es wichtig, sich im CNBW Infos zu holen und Erfahrungen zu teilen. Man muss sich darauf einlassen, dass es in China einfach anders läuft.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Die Vorgaben in China sind insgesamt strikter. Der chinesische Staat erwartet von Unternehmen, die vor Ort tätig werden möchten, dass ein bestimmter Teil der Entwicklungs- und Forschungsabteilung in China ansässig ist. Man muss sich also im Vorfeld Gedanken machen, ob ein kostenintensives Engagement mittel- und langfristig Bestand haben kann. Es wird zum Beispiel auch Wissen abgeschöpft. Also: Welche Risiken gibt es und was ist man bereit, in Kauf zu nehmen?

Wie verhält es sich mit dem Kopieren von Produkten?
Das wird immer ein Thema bleiben, ist aber heute nicht mehr so stark ausgeprägt wie in den vergangenen Jahren. Aber an diesem Beispiel wird deutlich, dass bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit eben auch zwei unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen. In China hat Kopieren Tradition. Man schaut sich Dinge von den Alten und Anderen ab, macht nach und entwickelt Bewährtes weiter. Chinesen kopieren nur das, was für sie interessant ist. Wer in China mit der Idee investiert, was in Europa geht, geht auch in China, hat die falsche Einstellung. Man muss bereit sein, zu antizipieren und auch durch die Brille der anderen Kultur zu sehen.

Wie hat sich denn die Art der wirtschaftlichen Zusammenarbeit geändert im Laufe der Zeit?
Die chinesische Seite tritt deutlich selbstbewusster auf und sie bietet ihre Produkte auch offensiver an als in der Vergangenheit. Aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs haben die Chinesen einen gewissen Nationalstolz entwickelt. Viele sehen sich weniger als die abhängige Seite, sondern vielmehr als Marktakteur und Partner auf Augenhöhe. China ist auf vielen Gebieten unabhängiger vom Westen geworden.

Wie äußerst sich das?
In China war ich in der beruflichen Weiterbildung tätig. Der Anteil der ausländischen Arbeitnehmer nimmt kontinuierlich ab. Auch in den deutschen Dependancen sind in der Regel bis auf wenige Ausnahmen nur Chinesen tätig. Viele chinesische Manager haben unter anderem in Deutschland studiert und teilweise dort schon gearbeitet. Sie sind interkulturell sensibilisiert und sehr interessiert.

Als Außenstehender kommt es einem oft so vor, dass China in Sachen Wirtschaft sehr offen ist, gleichzeitig im Inneren aber die Zügel in Sachen Freiheit anzieht. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
Mit den ersten Olympischen Spielen im Jahr 2008 in China war im Westen die Hoffnung verbunden, dass sich das chinesische System öffnen würde. Das hat de facto nicht stattgefunden. Fakt ist aber auch, dass es eine wachsende Mittelschicht gibt, die natürlich Erwartungen hat, etwa in Sachen Klima- und Umweltschutz. Dennoch: Kritik ist nur möglich, wenn Staat, Partei und das System als solches nicht in Frage gestellt werden.

Was sollte man als Unternehmen tunlichst vermeiden?
Wichtig ist, die chinesische Seite als gleichwertigen Partner wahrzunehmen und entsprechend zu behandeln. Es geht um Respekt. Unsere Direktheit wird oft missverstanden. Zur sorgfältigen Vorbereitung gehört auch ein fähiger Dolmetscher oder Partner, der bei der Kommunikation kulturelle Hürden gekonnt umschiffen kann. Aber er muss auch fachlich versiert sein, sonst gibt es später unangenehme Überraschungen.

Können Sie sich an ein Fettnäpfchen erinnern, in das Sie selbst schon einmal getreten sind?
Ja, in der Tat (lacht). Ich habe in Yangzhou eine chinesische Freundin besucht, die mich zum Essen eingeladen hat. In China ist es üblich, dass der Gastgeber reichlich auftischt. Das drückt Wertschätzung gegenüber dem Gast aus, und es zeigt, dass man seine Gäste gut und großzügig bewirten kann. Darum bleibt also in der Regel immer Essen übrig. Ich hatte aber so großen Hunger, dass ich alles aufgegessen habe. Deshalb musste meine Freundin, die Tochter einer bekannten Persönlichkeit vor Ort ist, Essen nachbestellen, um bei den anderen Gästen keinen schlechten Eindruck zu hinterlassen. Ich wusste zwar um diese Gepflogenheit, hatte aber in dem Moment nicht nachgedacht. Die Freundin ist mit einem Deutschen verheiratet, muss sich aber im Heimatland an Traditionen messen lassen. An diesem Beispiel sieht man, dass auch einem Insider wie mir ein Fauxpas passieren kann.

Was war denn Ihr schönstes Erlebnis in China?
Ich mag die Menschen in China und ihre Art sehr, vor allem wegen der ihrer Neugierde und Hilfsbereitschaft. Ich habe mir einmal den Fuß gebrochen, bin aber trotzdem mit dem Bus verreist. Aufgrund eines Erdrutsches in der Nähe von Guilin in Südchina mussten wir zu Fuß die Unglücksstelle umlaufen, um zu einem anderen Bus zu gelangen. Ich habe mich dann mit meinen Krücken auf den Weg gemacht. Die Leute vor Ort haben direkt gefragt, ob ich getragen werden möchte, was ich natürlich abgelehnt habe. Als es dann nicht mehr weiterging, wollten alle helfen. Man hat mich über das unwegsame Gelände getragen. Und als ich einige Zeit später auf dem Rückweg war, haben die Leute schon auf mich gewartet. Vier Chinesen haben mir dann geholfen.

Finden Sie, dass auch solche Aspekte in der Berichterstattung über China ausreichend gewürdigt werden?
Als ich selbst in China gelebt habe und deutsche Medien konsumiert habe, habe ich mich bisweilen gefragt, aus welchem Land berichtet wird. Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Die Berichterstattung war und ist nicht falsch, aber manchmal nehme ich schon eine gewisse Schlagseite hin zum Negativen wahr. Ich habe manchmal das Gefühl, dass man dem Land nicht zugestehen will, dass es auch andere Seiten gibt und dass China unglaublich viel zu bieten hat – zum Beispiel die sympathischen Menschen.

Über China Netzwerk Baden-Württemberg e. V. (CNBW): Der Verein setzt sich für die Förderung der deutsch-chinesischen – insbesondere der baden-württembergisch-chinesischen – Verständigung und der stringente Ausbau der Informationsbasis auf wirtschaftlichem, wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet ein. Die Angebote des CNBW richten sich an deutsche Firmen, die in oder mit China arbeiten wollen, an chinesische Firmen, die in Deutschland bereits aktiv sind oder Unternehmungen betreiben wollen, und an Vertreter von Kommunen, Institutionen, Universitäten, Hochschulen und sonstigen Organisationen. Die Geschäftsstelle des Vereins CNBW für die Region Baden hat ihren Sitz in Oberkirch. (Quelle: CNBW).

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