Schuleignungstests sind nicht mehr zeitgemäß

Barbara Kempf, Schulrätin beim staatlichen Schulamt Offenburg
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In Deutschland gilt die allgemeine Schulpflicht. Und das beinhaltet, dass Eltern dafür verantwortlich sind, ihr Kind im Anschluss an den Kindergarten auf eine Schule zu schicken.
Aber wer entscheidet eigentlich, ob das eigene Kind bereit ist für die
Schule und welchen Entwicklungsstand sollte es idealerweise zur
Einschulung bereits vorweisen können? Laura Bosselmann sprach mit
Barbara Kempf, Schulrätin beim staatlichen Schulamt Offenburg.

Gibt es den früheren Schuleignungstest für Grundschüler heute überhaupt noch?
Schuleignungstests sind ein überholtes, nicht mehr zeitgemäßes Instrument, das für die
Grundschulen auch nicht verpflichtend ist. Es ist so, dass es einen
Beobachtungsrahmen für Erzieher und Lehrer gibt, an dem sie sich im
letzten Kindergartenjahr orientieren können.

Wann wird dieser Beobachtungsrahmen angewendet und was gibt er vor?
Er kommt im letzten Kindergartenjahr zum Einsatz und zeigt
Beobachtungskriterien auf. Im Bereich der Motorik steht dann
beispielsweise „kann rückwärts gehen“, „kann vorwärts zählen“, „kann
Mengen erfassen“. Diese Kriterien sind nicht unbedingt maßgeblich für
das Niveau, dass das jeweilige Kind im Kindergarten vorweisen können
sollte. Hier werden auch die nächsten Entwicklungsschritte angesprochen,
die durchaus erst in der ersten oder zweiten Klassen vorhanden sein
sollten. Die Erzieher wissen so, wie der nächste Erziehungsschritt
aussehen sollte.

Sie sprechen von Erziehern und Lehrern. Kommen Lehrer auch in die Kindergärten, um den Entwicklungsstand der
Kinder zu beobachten?

Ja, im letzten Kindergartenjahr gibt es eine verpflichtende Kooperation zwischen Grundschulen und Kindergärten.

Was ist das Ziel des Kooperationsverfahrens?
Lehrer, sogenannte Kooperationslehrer, und Erzieher beobachten und
fördern das Kind im letzten Kindergartenjahr. So ergibt sich ein guter
Eindruck über den Entwicklungsstand des Kindes. An diesen kann die
Schule dann anknüpfen.

Ist dieser Stand denn in allen Grundschulen im Ortenaukreis derselbe?
Nein, das kann von Ort zu Ort verschieden sei. Das hängt beispielsweise
davon ab, wie groß die Eingangsklasse ist, welche Kompetenzen der
Lehrer mitbringt, welche Rahmenbedingungen die Schule hat und so weiter.
Das ist sehr individuell von Ort zu Ort. Deshalb sprechen wir auch
nicht mehr von Schulfähigkeit, sondern von Anschlussfähigkeit.

Welche Kenntnisse sollte das Kind zum Ende der Kindergartenzeit besitzen?

Es ist nie nur ein einzelnes Kriterium, das ausschlaggebend ist. Daher
auch der Orientierungsrahmen, an dem man sieht, welche Entwicklungen das
Kind in einem Jahr gemacht hat. Hier werden unterschiedliche Bereiche
wie Motorik, Sprache, Mathematik und auch der emotionale sowie soziale
Bereich betrachtet. Ein Mangel in nur einem Bereich ist noch kein
Kriterium für eine Zurückstellung. Wenn das Kind in mehreren Bereichen
noch Förderung braucht, empfiehlt man die Grundschulförderklasse.

Was versteht man unter einer Grundschulförderklasse?
Das ist ein Förderort. Kinder, die schulpflichtig, aber noch nicht
schulbereit sind, sollen in diesen Klassen gezielt gefördert werden,
anstatt einfach ein Jahr länger in der Grundschule zu bleiben. Diese
Klassen gibt es an zwölf Grundschulen in der Ortenau. Sie sind nicht verpflichtend.

Wie kann man sein Kind bereits vor der Einschulung auf die Grundschulzeit vorbereiten?
Die Eltern sollten ihr Kind am Alltag teilhaben lassen. Vieles, wie ein
gemeinsames Essen am Tag, ist heute nicht mehr selbstverständlich.
Kinder kann man auch an so einfachen Dingen wie dem Tischdecken
beteiligen. Hier lernen sie spielerisch die Mengenerfassung kennen: Vier
Personen benötigen vier Teller und das dazugehörige Besteck. Auch das
gemeinsame Gespräch ist wichtig. Genauso übrigens das Toben.
Übervorsorge ist genauso wenig von Vorteil wie Vernachlässigung.
Hilfreich ist es mit Sicherheit auch, den Fernseh- und Medienkonsum
einzuschränken.

Gibt es falsche Vorstellungen bei den Eltern über Fähigkeiten, die das Kind bereits vor Schulbeginn besitzen sollte?
Da gibt es zwei Seiten. Ich habe einmal eine Mutter bei mir gehabt, deren
Kind nicht würfeln konnte. Wenn sie gewusst hätte, dass das verlangt
würde, hätte sie das geübt, sagte sie zu mir. Ich habe mir nie Gedanken
darüber gemacht, dass man so etwas gezielt üben sollte. Aber es gibt
auch andere Eltern, die ihre Kinder im letzten Kindergartenjahr mit
Buchstabenlernen, Rechenübungen und Museumsbesuchen vorantreiben wollen.
Das ist auch nicht zielführend. Wir sagen immer: „Das Gras wird nicht
länger, wenn man daran zieht“. Von den Eltern sollte das Wachstum nicht
gestoppt werden. Es ist wichtig, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen.

Autor: Laura Bosselmann

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