Angedacht: Igor Lindner
Ein Licht – ersehnt und doch unerwartet
"Immer, wenn du meinst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her."
Liebe Leserinnen und Leser, diese Zeile habe ich in manchem Haus gefunden, sie stammt vom alemannischen Dichter J.-P. Hebel. Letztes Weihnachten schrieb ihn mir in Schönschrift ein Gefangener aus der JVA Offenburg auf. Und ja, viele Menschen – drinnen und draußen – meinen zurzeit, es geht nicht mehr, haben Angst um ihre Gesundheit, ihre Freiheit, sind es müde. In Haft in ist man doppelt isoliert: eingeschlossen und pandemische Sondermaßnahmen. Über ein ganzes Jahr war kein direkter Kontakt mehr möglich mit den Kindern oder Ehrenamtlichen. „Selber schuld!“, sagen mir viele. Die Kinder doch sicher nicht! Aber mal ehrlich: Führt diese Antwort bei irgendeinem Problem im Leben langfristig weiter? Wenn wir nur noch so denken, bleibt vorwurfsvolle Hartherzigkeit, die auch nicht glücklich macht. Im sonntäglichen Gottesdienst in der Gefängniskirche zündet mancher eine Kerze an. Natürlich: Denken an die Kinder. Ein stilles Gebet? Bitte um Vergebung? Warten auf Gottes Kommen? Einer war glücklich, denn er hatte am Tag zuvor zum ersten Mal wieder nach einem Jahr Besuch gehabt von seiner Tochter. Sie muss gut gewesen sein, diese Begegnung, denn als er davon erzählte, da leuchtete sein Gesicht! Und da war es, das Lichtlein: Ersehnt und doch unerwartet!
Begegnungen hinter den Mauern waren der Gefängnisseelsorge in diesem heruntergefahrenen Jahr weitgehend möglich, dafür bin ich dankbar. Das Kommen von Jesus ist wie ein Kerzenlicht für unsere Herzen, in unsere eigenen und gesellschaftlichen Isolierungen hinein, auch in die Gefängniszellen. Dann leuchtet ein Lichtlein auf, verbunden mit einem Lächeln von Herzen. Erwarten Sie die Situation, die Ihnen und wem auch immer, nächste Woche ein Lächeln bereitet!
Igor Lindner, Gefängnispfarrer, JVA Offenburg
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