VDA-Präsidentin Müller sprach bei der IHK
"Mobilität bedeutet Teilhabe“

IHK-Präsident Eberhard Liebherr ( v. l.), VDA-Präsidentin Hildegard Müller und IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Dieter Salomon | Foto: IHK Südlicher Oberrhein
  • IHK-Präsident Eberhard Liebherr ( v. l.), VDA-Präsidentin Hildegard Müller und IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Dieter Salomon
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Lahr (st) Die Vollversammlung der IHK Südlicher Oberrhein tagte am vergangenen Donnerstag, 25. Juli, in Lahr. Als Gastrednerin war Hildegard Müller gekommen, die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Sie warnte vor ideologisch geführten Verbotsdebatten rund um die individuelle Mobilität und nahm den Standort Deutschland kritisch in den Blick.

Der Hauptgeschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein, Dr. Dieter Salomon, begrüßte Müller im großen Sitzungssaal der IHK in Lahr. „Wenn man sich die beruflichen Aufgaben im deutschen Verbändewesen anschaut, hat sie nicht nur den spannendsten, sondern wahrscheinlich auch den schwierigsten Job, den man sich hierzulande vorstellen kann“, sagte Salomon. Vor allem wenn man an die Bedeutung der deutschen Automobilindustrie im aktuellen geopolitischen Spannungsfeld denke. Und an die Herausforderungen, denen die Leitbranche aktuell im Transformationsprozess gegenüberstehe.

„Mobilität bedeute in aller erster Linie Teilhabe. Daher ist es wichtig, nicht nur aus den großen Städten wie Berlin oder Brüssel heraus über Mobilität für Menschen zu sprechen. Denn 60 Prozent der Bevölkerung wohnen in kleinen Städten und in ländlichen Regionen“, sagte Müller. Und wenn der Öffentliche Personennahverkehr nicht so gut ausgebaut sei, werde diese Teilhabe verwehrt. Beispielsweise wenn eine Auszubildende in den Schulferien nicht zum Ausbildungsbetrieb kommen könne, weil der Schulbus nicht fahre. „Für viele Menschen ist das leider Realität.“

Transformationsprozess gestalten

Müller präsentierte einen Fakt, der überrascht – und auch widerlegt, dass das Auto bei jungen Menschen an Bedeutung verloren hat. Laut Kraftfahrtbundesamt gab es zuletzt wieder deutlich mehr unter 25-Jährige mit eigenem PKW. Genauer gesagt ist die PKW-Dichte in der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen zwischen 2016 (164 Autos auf 1.000 Menschen) bis 2022 (188) kontinuierlich angestiegen. Und damit ist Deutschland nicht allein. Laut einer Studie des internationalen Dachverbands von Automobilclubs und Motorsport-Vereinen, FIA, bleibt der Stellenwert des Autos weltweit hoch – auch bei jungen Menschen. Müller: „Der Bedarf ist ungebrochen, deswegen müssen wir Lösungen finden. Und idealerweise finden wir diese Lösungen nicht nur für Deutschland, sondern für die Welt. Das hat uns bisher ausgemacht, und das hat uns auch stark gemacht. „70 Prozent der Arbeitsplätze in der Autoindustrie in Deutschland hängen am Export.“

Müller sendete das klare Bekenntnis, dass die Automobilindustrie große Anstrengungen vollziehe, um den Transformationsprozess in der Branche zu gestalten. „280 Milliarden Euro fließen allein in den kommenden vier Jahren in die Forschung und die Entwicklung neuer Antriebe und die Digitalisierung.“ Trotzdem werde die Elektromobilität kein Allheilmittel im Verkehrssektor sein. „Sollten 2030 – wie die Bundesregierung gesagt hat – 15 Millionen E-Autos in Deutschland unterwegs sein, haben wir immer noch rund 35 Millionen mit Verbrenner-Motor, 280 Millionen sind es in der EU, 1,5 Milliarden weltweit. Wir erreichen unsere Klimaziele also nie, wenn wir für diese Fahrzeuge keine Lösungen finden. Ich rate dazu, nicht über Verbote nachzudenken, denn es geht um eine große soziale Frage und darum, das Leben zu organisieren. Ideologische Kriege über die Mobilität sollten eigentlich der Vergangenheit angehören.“ Die VDA-Chefin appellierte, nicht eine Debatte der Verbote zu führen, was unerwünschte Ausweicheffekte zur Folge habe, sondern eine Debatte über das Gelingen von Mobilitätskonzepten.

Standort nicht mehr wettbewerbsfähig

Und wie ist die deutsche Automobilindustrie im weltweiten Vergleich aufgestellt? Müller: „Wir brauchen uns im internationalen Wettbewerb nicht zu verstecken. Mit gut gesetzten Rahmenbedingungen kann sich die Branche gut entwickeln – auch beim Thema autonomes Fahren.“ Das könne beispielsweise eine Lösung für den ländlichen Raum sein, weil Fahrzeuglenker fehlten und entlegene Regionen auch deswegen nicht gut an den ÖPNV angeschlossen seien.

Müller, die insgesamt mehr als 600 Unternehmen vertritt und eine Branche mit einer Inlandsproduktion im Wert von knapp 560 Milliarden Euro im Rücken hat, hatte aber auch eine unangenehme Botschaft mit nach Lahr gebracht. Von den vielen Milliarden, die die Automobilbranche in den kommenden Jahren in Forschung und Entwicklung investiere, würden immer weniger in Deutschland bleiben. „Hohe Bürokratie-, Energie- und Arbeitskosten machen den Standort schlichtweg nicht mehr wettbewerbsfähig. Die Werke werden hier nicht morgen zugemacht, aber es entstehen auch keine neuen.“ Hinzu komme das Problem der schleppenden Digitalisierung. „Die Geschwindigkeit, die der Staat bei der Digitalisierung von der Wirtschaft erwartet, erfüllt er selbst nicht. Andere Länder auf dieser Welt beweisen, dass es schneller vorwärts gehen kann.“

Dieser Druck auf den Standort Deutschland werde von der Politik nicht ausreichend wahrgenommen. Weil sie dringend notwendige strukturelle Anpassungen nicht voll auf dem Schirm habe und Arbeitslosigkeit aufgrund des Fachkräftemangels bislang kein Thema sei. Müller: „Das ist eine Scheinsicherheit, wir definieren uns die Realität schön. Wenn der Verbrenner ausläuft, wird Arbeitslosigkeit auch wieder zum Thema.“

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