Platz für Graffitis gefunden
Zeitzeugen-AG will Ehrenfriedhof verändern

Uli Hillenbrand, Mattéo Charreyron, Jula Bierhalter, Malak Bouzidi, Elisa Fröhlich, Thomas Bringolf | Foto: Stadt Kehl
  • Uli Hillenbrand, Mattéo Charreyron, Jula Bierhalter, Malak Bouzidi, Elisa Fröhlich, Thomas Bringolf
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Kehl (st) Sie hingen nur einen Tag lang und waren doch sofort ein Anziehungspunkt: Bereits vom Eingang aus waren die sechs auf 2,5 mal 1,5 Meter großen Holzplatten gesprühten Graffitis am Volkstrauertag vergangenen Jahres zu sehen und doch lockten die bunten Friedensbotschaften Neugierige auf den sogenannten Ehrenfriedhof. Jetzt machen sich Mitglieder der Zeitzeugen-AG des Einstein-Gymnasiums mit ihrem Lehrer Uli Hillenbrand, der Leiterin des Stadtarchivs und des Hanauer Museum, Dr. Ute Scherb, sowie dem stellvertretenden Leiter des Betriebshofs, Frank Wagner, daran, den Wandel anzustoßen und der Gedenkstätte ein zeitgemäßes Gesicht zu geben.

Welcher Name?

Mit dem Namen fängt es bereits an: Kann eine Gedenkstätte Ehrenfriedhof heißen, wenn dort auch Angehörige der SS begraben liegen? Die Bezeichnung Soldatenfriedhof ist ebenso wenig passend, weil auch zivile Opfer eines Bombenangriffs auf Kehl dort bestattet sind und wohl auch Menschen, die im Kriegsgefangenenlager starben. Könnte Kriegsgräberstätte ein neutraler Name für diesen festungsartig gestalteten Ort sein? Mit der Frage, wie junge Menschen diesen besonderen Friedhof heute nennen würden, setzen sich die Schüler des Einstein-Gymnasiums ebenso auseinander wie mit Möglichkeiten, die den nationalsozialistischen Totenburgen nachempfundene Architektur in verschiedener Weise optisch aufzubrechen und – vielleicht mit Texten auf Erklärungstafeln – in ihren Kontext zu setzen.

Der Anfang ist gemacht: Mitarbeitende des Betriebshofs haben die Hecken rechts und links neben dem Haupteingang entfernt. Damit wirkt die Anlage zugänglicher und heller, klare Sichtbeziehungen zwischen Stadt und Friedhof sind hergestellt. Die bislang mit Grassamen eingesäten freien Flächen könnten sich die Jugendlichen auch als Wildblumenwiesen vorstellen, haben sie Frank Wagner beim Ortstermin mit auf den Weg gegeben. Ute Scherb gefällt dieser Gedanke gut: Blumen seien Individuen, ebenso wie die Menschen, die auf dem Friedhof begraben lägen.

Die wichtigste Entscheidung beim ersten Treffen war rasch getroffen: Die zum Volkstrauertag auf Holzplatten gesprühten Friedensbotschaften sollen an der Mauer unterhalb des zentralen Monuments wieder angebracht werden. Dazu allerdings müssen die Vorderseiten der Tafeln lackiert, die Rückseiten mit Metall verstärkt und die Ränder ebenfalls mit Metallbändern geschützt werden. An diesen Arbeiten, die vom Betriebshof übernommen werden, werden sich die Schüler beteiligen.

Niederschwellige Informationen

Einig waren sich die Jugendlichen mit Dr. Ute Scherb, dass Besuchern der Gedenkstätte Informationen über den Ort auf niederschwellige Weise zugänglich gemacht werden sollten. Das könnte, schlugen die Mitglieder der Zeitzeugen-AG vor, über eine Infotafel oder aber dezentral über einen Infopfad geschehen. Über QR-Codes könnte Interessierten die Möglichkeit eingeräumt werden, tiefer in die Geschichte des Ortes – und Kehls – einzusteigen. „Man könnte die Intention der Friedhofserbauer ebenso deutlich machen wie die historischen Zusammenhänge und dazu eine Interpretation aus heutiger Sicht anbieten“, nahm Ute Scherb die Ideen auf. Über QR-Codes könnten vielleicht auch Zeitzeugenberichte, welche die Zeitzeugen-AG aufgenommen hat, eingespielt werden.

Anfang Mai will sich die Gruppe wieder treffen, um zu sehen, wie diese Ideen konkretisiert werden können. Eingebunden werden soll dann auch ein Wissenschaftler, der sich bestens mit Denkmal-Architektur in der NS-Zeit auskennt und mit dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge zusammenarbeitet.

Hintergrund

Bereits beim Volkstrauertag 2021 hatte eine Gruppe von Schülern des Einstein-Gymnasiums unter Leitung von Lehrer Uli Hillenbrand mit einem tiefgründigen Sprechtheater über die Geschichte des Kehler „Ehrenfriedhofs“ stark beeindruckt. Sie hatten den Architekten der Anlage, Robert Tischler, sprechen lassen und seine Aussagen aus den 1950er-Jahren in den Kontext zu den damaligen Kriegen in der Welt und auch von rassistisch motivierten Attentaten und Morden im Deutschland der Gegenwart gesetzt. Am Ende ihres Vortrags stellten die Jugendlichen dar, wie die Ehrenfriedhof genannte Anlage verändert werden müsste, um auch junge Menschen anzusprechen. Ein Wunsch bezog sich auf die Öffnung der Gedenkstätte in Richtung Stadt – mit der Rodung der Hecken im Eingangsbereich ist dieses Ansinnen inzwischen umgesetzt.

Im vergangenen Jahr haben Mitglieder der Zeitzeugen-AG ihre Friedenbotschaften auf sechs große Graffiti-Tafeln gesprüht und diese beim Volkstrauertag erläutert. Die Neuntklässler möchten sich darüber hinaus in einen größeren Umgestaltungsprozess einbringen, der nun in Gang gesetzt ist. Am Projekt beteiligt sind die Gymnasiasten Thomas Bringolf, Muriel Gourio, Violetta Bitto, Elisa Fröhlich, Malak Bouzidi, Jula Bierhalter, Jean Bazia, Mattéo Charreyron und Simona Marzotico.

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