Angedacht: Simon Schilling
Für Kinder ist Krieg spielen viel einfacher
Der russische Schriftsteller Samuil Marschak beobachtete einmal Kinder und fragte: „Was spielt ihr?“ Sie antworteten: „Wir spielen Krieg“. Darauf erklärte der Schriftsteller: „Wie kann man nur Krieg spielen! Ihr wisst doch sicher, wie schlimm Krieg ist. Ihr sollt lieber Frieden spielen.“ „Das ist eine gute Idee“, sagten sie. Dann Schweigen, Beratung, Tuscheln, wieder Schweigen, bis ein Kind fragte: „Großväterchen, wie spielt man Frieden?“
„Großväterchen, wie spielt man Frieden?“
Ich kann mich gut in diese Kinder hineinversetzen. Schaue ich auf meine Kindheit in den 1980er-Jahren, dann haben wir öfter Krieg gespielt als Frieden. Es beeindruckte uns, wenn die Panzer der in der Nähe stationierten US-Army durch unser Dorf fuhren und uns Kindern am Straßenrand Kaugummis zuwarfen. Die Düsenjets flogen regelmäßig im Tiefflug mit einem Höllenlärm über uns hinweg. Das hat uns so fasziniert, dass wir Angriffe nachspielten oder uns im Wald ein Soldatenlager bauten. Frieden zu spielen kam uns nicht in den Sinn. Aber natürlich spielten wir ganz oft friedlich miteinander, rannten unbeschwert durchs Dorf, blieben auf dem Spielplatz, bis uns das Acht-Uhr-Läuten der Kirche nach Hause rief. So schön kann Frieden sein!
Vielleicht ist es die Schwäche des Friedens, dass wir ihn oft nicht so unmittelbar spüren wie den Krieg und die Folgen von Streit, dass der Frieden erstmal „nur“ Freiheit schenkt, in der wir leben dürfen: frei und meist unbeschwert. Dem Frieden gegenüber steht oft unser Wille zur Selbstverwirklichung und unser Drang nach persönlichem Erfolg. Ganz oft gelingt es uns, damit verantwortlich und gemäßigt umzugehen. Manchmal aber auch nicht. Entsetzt können wir gerade beobachten, wie krank Macht die Mächtigen machen kann. So wird Frieden plötzlich wieder zur großen Sehnsucht. Frieden ist gerade keine Selbstverständlichkeit mehr, in der wir leben und in der Kinder spielen dürfen.
In den heutigen Gottesdiensten hören wir, wie Jesus in der Wüste herausgefordert wird seine Macht zur Schau zu stellen (Lk 4,1-13). Er widersteht dem menschlichen Reflex der Machtdemonstration. Vielleicht könnte das auch ein Zugang zur beginnenden Fastenzeit sein: Wo gelingt es mir selber, auf kleine Machtdemonstrationen zugunsten der Mitmenschlichkeit zu verzichten?
Simon Schilling, Pastoralreferent und Seelsorger im Gefängnis
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