Angedacht: Hans-Georg Dietrich
Jeder Mitmensch hat auch einen Namen
„Er hat jetzt eine Polin“, „Sie hat jetzt eine Rumänin“ – diesen Satz höre ich immer wieder einmal. Gemeint sind damit Frauen, die immer für ein paar Monate nach Deutschland kommen. Sie unterstützen und pflegen Menschen, die allein nicht mehr zurechtkommen. Sie lassen ihre Familien und die Kinder in der Heimat zurück.
„Ein Mensch ohne einen Mitmenschen ist kein Mensch"
Dabei geht es auch um Geld und Verdienst. Die einen brauchen Geld, die anderen brauchen Betreuung. Aber es geht auch um die grundlegende Erfahrung, dass wir Hilfe brauchen. Wir Menschen sind immer auf andere angewiesen. Im Alter oder bei Krankheit wird das besonders deutlich. Das Dasein des Menschen ist immer ein „Da-sein-für-jemanden.“
So werden diese Frauen aus Polen oder anderen Ländern im eigentlichen Sinne zum Mitmenschen für viele ältere Leute bei uns. Sie entlasten die Familien und helfen denen, die Begleitung und Hilfe brauchen. Oft ist die Sprache ein Problem. Trotzdem gelingt vieles.
Theologe Karl Barth schrieb einmal: „Ein Mensch ohne einen Mitmenschen ist kein Mensch, sondern das Gespenst eines Menschen“. Das leuchtet mir sehr ein. So helfen die Frauen aus Polen oder Rumänien nicht nur bei der Lebensbewältigung älterer Menschen, sondern auch dabei, Mensch zu bleiben. Dafür einfach einmal Danke schön. Das verschiebt dann die Perspektive deutlich. Wir müssten eigentlich sagen: „Er hat jetzt eine Polin als Mitmenschen“, „Sie hat jetzt eine Rumänin als Mitmenschen“. Das klingt sperrig, ist aber gut. Den Menschen an sich gibt es nicht. Es gibt nur den Mitmenschen. Wenn wir das wirklich begreifen, wird diese Welt eine andere sein.
Und der Mitmensch trägt immer auch einen Namen. In der Bibel ist das Beim-Namen-gerufen-Sein ein Ausdruck für die besondere Zuwendung Gottes zu den Menschen. Es ist schön, dass wir beim Namen gerufen sind. Dieses Schöne sollten wir weitergeben. Wir sollten deshalb sagen: „Irina aus Polen begleitet nun unsere Oma Herta für die nächsten drei Monate“. Darin klingt dann auch eine Zeile des Kindergartenliedes mit, in der es heißt: „Gut, dass wir einander haben, gut dass wir einander sehn.“
Hans-Georg Dietrich, evangelischer Schuldekan im Kirchenbezirk Ortenau
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