Vor 20 Jahren wurde Wolfgang G. Müller zum Oberbürgermeister gewählt
"Die größte Herausforderung war eher mentaler Natur"
Lahr (ds). Das Jahr 1997 war nicht für den Guller ein ganz besonderes. Auch für Lahrs Oberbürgermeister Wolfgang G. Müller wird es immer in Erinnerung bleiben. Denn vor 20 Jahren, am 19. Oktober 1997, wurde der damals 45-Jährige mit 63,35 Prozent zum neuen Oberhaupt der Stadt Lahr gewählt. Am 1. Dezember wurde der gebürtige Bruchsaler als Nachfolger von Werner Dietz im Amt vereidigt. Im Gespräch mit der Guller-Redaktion lässt Müller die vergangen zwei Jahrzehnte Revue passieren.
Wie sind Sie vor 20 Jahren auf die Idee gekommen, sich in Lahr zu bewerben?
Die Überlegung, einmal in die Kommunalpolitik einzusteigen, hatte ich schon lange vor diesen 20 Jahren. Ich komme aus einer Kommunalpolitiker-Familie. Meine Großväter waren Bürgermeister, mein Vater Landtagsabgeordneter und Landrat. Gewissermaßen trage ich eine politische Erbmasse in mir, die mich geprägt hat. Schon als Kind waren mir sowohl die schönen als auch die weniger schönen Dinge im Leben eines Kommunalpolitikers bekannt. Aber ich wollte in die kommunale Politik und habe mich bei der SPD Baden-Württemberg auf eine Liste mit potentiellen Bürgermeisterkandidaten setzen lassen. 1997 im Mai kam der Hinweis, dass in Lahr eine Oberbürgermeisterwahl stattfindet. Seinerzeit war ich in Bonn Regierungsdirektor im Bundeswirtschaftsministerium und wollte wieder zurück nach Baden.
Kannten Sie Lahr damals schon?
Ja, weil ich oft nach Freiburg und zur Universität Konstanz gefahren bin und die Stadt als Nato-Hauptquartier der Kanadier bekannt war. Außerdem habe ich eines Tages die Autobahnausfahrt Richtung Kinzigtal verpasst und bin dann quasi umständehalber durch Lahr und über den Schönberg gefahren.
Wie hat Lahr bei Ihrem ersten Besuch auf Sie gewirkt?
Als ich im Juni 1997 zunächst mit meiner Familie zum ersten Mal her kam, haben wir in der Tiefgarage Marktplatz geparkt, sind die Wendeltreppe hochgekommen und standen inmitten vieler Menschen, es war Samstag und Markt, unter strahlend blauem Himmel. Als ich Wochen später mit meinem Wahlkampf begonnen habe, bin ich mit der Bahn angereist und an diesem "wunderbaren" Bahnhof ausgestiegen. Da gesellte sich zu meiner ersten Begeisterung eine gewisse Ernüchterung.
Was wollten Sie von Anfang an in der der Stadt verbessern?
Die Umgestaltung des Bahnhofbereichs stand sofort auf meiner Agenda. Auf meinem Weg damals vom Bahnhof in die Innenstadt ist mir auch gleich das Alte Rathaus ins Auge gefallen, das im Erdgeschoss ein Bretterverschlag verschandelte, dahinter eine ehemalige Bedürfnisanstalt. Die Innenstadtentwicklung war von Anfang an ein zentrales Thema. Das alte Rathaus war im Jahr 2000 das erste Sanierungsobjekt. Nicht umsonst hat der Gemeinderat nach seiner ersten Klausurtagung im sogenannten "Ersteiner Papier" die Aufwertung der Innenstadt als Topziel festgesetzt, gleichrangig mit dem Ziel, keine Schulden mehr zu machen. Beides haben wir umgesetzt und zwar bis einschließlich 2017 und sogar den Schuldenbestand zurückgeführt.
Worin haben Sie bei Ihrem Amtsantritt die größte Herausforderung gesehen?
Eine besondere Herausforderung für Lahr damals schien mir mentaler Natur zu sein. Denn der Stadt fehlte plötzlich dieses mit internationalem Flair behaftete Prädikat als Nato-Hauptquartier der kanadischen Streitkräfte in Europa und mit der Kreisreform, als Lahr anfangs der 70er Jahre den Kreissitz verlor, haderten auch noch viele. Immer wieder hörte ich die Meinung, dass Lahr übervorteilt oder benachteiligt wurde. Die Stadt musste sich neu erfinden, neues Selbstbewusstsein entwickeln und wir mussten uns die Frage stellen, wie geht es nun weiter. Man war überdies beschäftigt mit dem Zuzug von Tausenden von Russlanddeutschen. Konversion und Integration mussten in einem Zug gelingen. Das war auf der einen Seite eine ökonomische, auf der anderen eine psychologisch-mentale Herausforderung. Damals habe ich den Begriff "Lahrmoyance" geprägt. Heute stehen wir deutlich besser da. Der aktuelle Blick auf Lahr zeigt zum Beispiel die Chrysanthema, die Landesgartenschau und die historische Höchstzahl an Arbeitsplätzen. Der Blick von außen zeigt Respekt und Anerkennung vor den Leistungen der Stadt. Heute machen wir Kommunalpolitik von einem anderen Entwicklungsniveau aus.
Welche Themen waren vor 20 Jahren aktuell, die es auch heute noch sind?
Uns beschäftigen das Zusammenleben und die Integration aller gesellschaftlicher Gruppen als Dauerthema. Das gilt in geringerem Umfang noch immer für die Spätaussiedler, aber natürlich weit mehr für die in den vergangenen zwei Jahren angekommenen Flüchtlinge. Integration heißt für mich nicht, dass Zuwanderer nach kurzer Zeit unseren Dialekt sprechen müssten oder unsere Speisekarte mögen. Das Grundgesetz ist die Leitlinie für Integration. Wesentlich ist, dass wir den Kindern eine schulpädagogische Betreuung zuteil werden lassen, damit sie den Bildungsanschluss schaffen. Was die Innenstadtentwicklung betrifft, haben wir sehr viel erreicht, aber ich sehe immer noch Stellen, wo städtisches Handeln greifen kann. Dazu brauchen wir aber noch mehr abgestimmtes Verhalten zwischen Privaten und der Stadt. Die Konversion als solche haben wir abgeschlossen und übergeleitet in den Begriff der Standortentwicklung. Denn in einer Stadt kann man nie sagen, dass die Entwicklung abgeschlossen ist. Nur die Dringlichkeiten haben sich verändert.
Ihr größter Erfolg und Ihr größter kommunalpolitischer Fehler in den vergangenen 20 Jahren?
Zu unseren Erfolgen zählen beispielsweise die soliden Finanzen, die Chrysanthema, die Landesgartenschau oder die Ansiedlung von Zalando. Rückblickend hätte die Stadt aus heutiger Sicht nicht erst 2013, sondern schon sehr viel früher die Flugbetriebsfläche erwerben sollen, um eine bessere Steuerungsmöglichkeit zu haben.
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