Erinnerungen an den NATO-Gipfel 2009
Treffen der Mächtigen im Kehler Rheinvorland

Am 4. April begrüßte der damalige Kehler Oberbürgermeister, Günther Petry, Bundeskanzlerin Angela Merkel im Rheinvorland.
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Kehl. Der Wind der Geschichte weht mal schwächer oder stärker in der Ortenau. In unserer
neuen Serie „Hier wurde Geschichte geschrieben“ beschäftigen wir uns mit
Ereignissen, die sich in das Gedächtnis der Menschen eingegraben haben.
Sie können weit in der Vergangenheit liegen oder erst ein paar Jahre
zurück. So wie der 60. Nato-Gipfel, der die Ortenau, Baden-Baden und
Straßburg für zwei Tage im April 2009 auf den Kopf stellte. Christina
Großheim sprach mit dem damaligen Kehler Oberbürgermeister, Dr. Günther
Petry, darüber, wie er den Rummel um die Staatsoberhäupter erlebt hat.

„Es war nicht nur der 4. April, es war ein langes Jahr“, erinnert sich
Günther Petry. Zum Jahreswechsel 2007 auf 2008 kam das Gerücht auf, dass
der 60. NATO-Gipfel in Straßburg und Kehl stattfinden solle. Der
Hintergrund: Frankreich war gerade erst wieder vollständiges Mitglied
des Verteidigungsbündnisses geworden, das sollte  gefeiert werden. „Im
Mai und April 2008 nahmen zwei freundliche Herren vom Auswärtigen Amt
erstmals mit mir Kontakt auf“, so Petry. Sie begleiteten die Stadt ein
Jahr bei den Vorbereitungen auf das Ereignis, bei dem die
Regierungschefs der Mitgliedsstaaten über die „Passerelle de deux Rives“
schritten, um vom damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy
begrüßt zu werden.

„Sämtliche Behörden, die man sich vorstellen kann, mischten mit“, denkt Petry an die Zeit zurück: „Das Kanzleramt,
das Auswärtige Amt, die NATO, die Landesregierung, die Franzosen mit
Vertretern aus Paris und Straßburg, die Feuerwehr, die Polizei – es
setzte sich eine Kolonne in Bewegung, die war aberwitzig. Es gab
Besprechungen ohne Ende und ständige Änderungen.“ Am stärksten blieb ihm
die Frage „Hat Kehl kein Schloss?“ in Erinnerung. Nein, das hat die
Stadt am Rhein nicht, deshalb wurde ein Teil der Veranstaltung in das
repräsentativere Baden-Baden verlegt. Und noch eines wurde dem Ex-OB
klar: „Der Stil der übergeordneten Politikeinheiten unterscheidet sich
erheblich von dem der kommunalen. Bei uns waren die Zuständigkeiten
klar, dort hatte man es mit Nebelhaftem zu tun, das immer mit dem Satz
‚Die Kanzlerin wünscht…‘ begann.“ Und diese Wünsche änderten sich
blitzartig: kein Volk, doch Volk, Blaskapelle – am Ende schwenkten eilig
aus Offenburg herangekarrte Schüler Fähnchen, als der Kehler
Oberbürgermeister Angela Merkel im Kehler Rheinvorland die Hand gab.
„Meine größte Tat war, die Stadtkapelle Hanauer Musikverein das
Badenerlied spielen zu lassen, als die erlauchten  Damen und Herren über
die Brücke wanderten“, erzählt Petry, der ein Lächeln nicht
unterdrücken kann.

Der Ablauf war klar: „Oberbürgermeister empfängt Merkel, Merkel empfängt Staatschefs“, erzählt Petry. Das Eis
brauch die Bundeskanzlerin mit der Frage: „Hat Kehl viel leiden müssen?“
Also erzählte Günther Petry von der Geschichte der Stadt – auch dem
US-Präsidenten Barack Obama. Wie hat er die Staatsoberhäupter erlebt?
„Es sind auch nur Menschen“, stellt er fest. Petry ist überzeugt, der
ganze Apparat schaffe die Unnahbarkeit, die die Mächtigen umgibt.

Die Gäste versammelten sich in einem Zelt, das im Rheinvorland eigens zu
diesem Zweck aufgebaut worden war. Ein Bild, das um die Welt ging, war
der  telefonierende ehemalige italienische Ministerpräsidenten Silvio
Berlusconi, der Angela Merkel und die anderen warten ließ. „Ich habe gar
nichts davon gemerkt“, lautet die nüchterne Antwort auf die Frage, wie
der OB diese Situation empfunden habe. „Es hätte ja auch etwas Wichtiges
sein können“, sagt er mit einem Schmunzeln. Der Auftritt der
Regierungs- und Staatschefs endete damit, dass sie über die „Passerelle
de deux Rives“ schritten, Sarkozy trafen und in Straßburg tagten.

Für den Kehler Oberbürgermeister begann damit die Arbeit. In Kehl zog ein
Demonstrationszug von 6000 Menschen vom Festplatz Läger durch die
Innenstadt zur Europabrücke. „Alles lief gut, bis es in Frankreich
anfing zu brennen“, so Petry. Im Rheinvorland lieferten sich die
französische Polizei und gewaltbereite Demonstranten eine
Straßenschlacht, die damit endete, dass die alten Zollgebäude und das
Hotel Ibis brannten. Deshalb durften die Demonstranten aus Kehl nicht
mehr wie geplant über die Brücke. „Es war gut, dass man sie da nicht
reinlaufen ließ“, so Petry. Für kurze Zeit drohte die bislang friedliche
Stimmung zu kippen, denn zwischen den Kehler Häuser gab es keinen Blick
auf das Chaos am anderen Ufer. „Die Polizei hat das gut gelöst“, findet
Petry rückblickend. Denn einige Teilnehmer, darunter der
Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele, durften von der Brücke aus
einen Blick auf das Geschehen werfen, gaben weiter, was sie sahen, und
so löste sich die brisante Situation auf.

Autor: Christina Großheim

Am 4. April begrüßte der damalige Kehler Oberbürgermeister, Günther Petry, Bundeskanzlerin Angela Merkel im Rheinvorland.
Das Bild des telefonierenden Silvio Berlusconi, der die anderen Staatschefs warten ließ, ging um die Welt. | Foto: Fotos: Thorsten Melnicky

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