Dialog Dollenberg
Redner setzen sich mit Ukraine-Konflikt auseinander
Bad Peterstal-Griesbach (st). Anfang Juni fand im Hotel Dollenberg wieder der gleichnamige Dialog Dollenberg mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft statt. Alle Vorträge behandelten Themen rund um die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges für die EU und vor allem für Deutschland.
Weckruf, um weiter an Europa zu bauen
Erster Referent des Abends war Staatssekretär Florian Hassler (Grüne), den Willi Stächele bei seiner Ankündigung als die rechte Hand von Ministerpräsident Winfried Kretschmann bezeichnete. Hassler bezeichnete den Ukraine-Krieg als „Weckruf.“ „Wir haben die Wehrfähigkeit vernachlässigt und uns energiepolitisch zu sehr abhängig gemacht.“ Auch die Sicherheit in Europa müsse neu definiert werden. Der Angriff Putins auf die Ukraine sei auch gleichzeitig ein Angriff auf die Grundpfeiler unserer regelbasierten, kooperativen Friedensordnung. „Aber: Auch wenn Putin diese Prinzipien in Trümmern gelegt hat, so hat er Europa durch sein brutales Vorgehen doch auch gestärkt. Europa agiert geschlossen und in sich kooperativ.“ Hauptaufgabe sei es jetzt vor allem auch, zusätzlich „Europa von unten“ zu „stärken“. Hassler unterstreicht in diesem Zusammenhang besonders die Pflege einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Frankreich und der Schweiz. „Europa findet vor Ort statt“, das Leben in den Grenzräumen müsse deutlich von Partnerschaften und gegenseitigem Austausch bestimmt sein. „Wir brauchen ein Europa, das nach innen friedlich und nach außen wehrfähig ist“, so Hassler. „Hier sind wir alle gefragt!“
Der zweite Referent des Abends, Günther Oettinger, legte mit feinem Geschick den Finger in die Wunden von Politik und Industrie. „Wir müssen uns alle neu erfinden: Wirtschaft, Politik, Gesellschaft- einfach alles“, mahnt er in einem eindringlichen Appell. „Unser Gesellschaftsmodell ist in großer Gefahr, unsere Wirtschaft, einfach alles.“ Und weiter: „Preissteigerungen und Geldentwertung können zur kalten Enteignung werden , was sie alle treffen würde“, so Oettinger zum Plenum. Er mahnt eindringlich, für westliche Werte einzustehen. Deutschland dürfe nicht nur Waren exportieren, sondern auch demokratische Werte. „Hier müssen wir alle mehr Einsatz zeigen als je zuvor“, fordert er die anwesenden Vertreter aus allen Bereichen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf. Oettinger geht schonungslos mit den Zuhörern um, fesselt mit Sachverstand sowie wirtschaftlichen und politischem Hintergrundwissen alle Anwesenden. Scharfsinnig bringt er es auf den Punkt: „Nie zuvor gab es in unserem Leben eine solche Fülle an Krisen und Gefahren. Putins Tabubruch hat vieles zerstört!“ Aber er macht auch Mut: „Wir werden aufstehen. Wir werden uns umorganisieren. Wir werden China und allen, von denen wir uns viel zu lange abhängig gemacht haben zeigen, was deutsches Unternehmertum und deutsche Arbeitsmentalität ist und was sie leisten können - gerade auch in Schwierigkeiten.“
Türe zum Dialog offenhalten
Der dritte Redner des Abends, Professor Klaus Mangold, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft bis 2010, legt in seinem Vortrag den Schwerpunkt auf die wirtschaftlichen Folgen des Krieges für Russland selber. Mangold verurteilt den russischen Angriffskrieg, der auch Anlass war für die Niederlegung seines Amtes als Honorarkonsul der Russischen Föderation. Er weist darauf hin, dass - wenngleich sich die russische Wirtschaft aktuell im freien Fall befände, vor allem aber nicht nur wegen der Sanktionen - man nicht dem Irrglauben erliegen dürfe, dass Russland zeitnah zahlungsunfähig werden könnte. Die Makrozahlen sprächen eine andere Sprache. Die Handelsbilanz Russlands habe sich, natürlich auch auf Grund der erhöhten Preise für Strom und Gas, um 50 Milliarden Euro verbessert. Die Reserven Russlands sind bis auf Weiteres ausreichend. Putins Geldhahn sei noch lange nicht zugedreht. Aufgrund des Boykotts suche er sich neue Märkte und fände sie leider auch. Mangold blickt mit Sorge auf die territorialen Gewinne Russlands, die zu weiteren Eskalationen führen werden. „Es ist schrecklich, aber 60 bis 70 Prozent der russischen Bevölkerung stehen hinter den militärischen Aktionen. Dies sei nicht zuletzt das Ergebnis der andauernden Propaganda in Russland und der Gleichschaltung der Medien.“ Er malt für die Zuhörer ein eher düsteres Szenario der Zukunft. Dies gilt sowohl für die Länge der Auseinandersetzung als auch für die weiteren Eskalationen. Einzig China traut er zu, wirksam auf Putin einzuwirken. Mangold drängt, Türen zum Dialog mit China und Russland stets offenzuhalten. „Wir müssen nicht nur der Ukraine aktuell helfen, sondern auch die Frage nach dem Danach diskutieren.“
Weitere Redner des Abends waren die Landtagsabgeordneten Siegfried Lorek MdL (Staatssekretär im baden- württembergischen Ministerium für Justiz und Migration) sowie Volker Schebesta (Staatssekretär für Kultus, Jugend und Sport). Lorek beleuchtete aus seiner Funktion heraus die aktuelle Lage in der Flüchtlings- und Migrationspolitik und Schebesta verwies auf zahlreiche Herausforderungen im Bereich Schulen und frühkindliche Bildung bezüglich der großen Menge der nach Deutschland geflüchteten ukrainischen Kindern und Jugendlichen.
„Wie immer wird der Finger schonungslos in die Wunden gelegt beim Dialog“, so Willi Stächele zum Abschluss der Veranstaltung. „Und das tut gut!“ Er halte gerne die Wange hin für diese verbalen Ohrfeigen. „Nur so können wir uns weiterentwickeln als Politiker und auch Sie als anwesende Unternehmer! Ich bin zutiefst dankbar für diesen Austausch heute Abend“, so Meinrad Schmiederer, Hotelchef und Mitorganisator des Dialogs. Wie immer wurde das Treffen umrahmt von toller Atmosphäre im Spiegelsaal des Relais Châteaux und mit wunderbarem Essen von Hotel- und Sternekoch Martin Herrmann.
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