Aktuelle Energiesituation
Dirk Güsewell referiert im Dollenberg
Bad Peterstal-Griesbach (st). Am vergangenen Freitag fand kurzfristig ein „Sonderdialog“ Dollenberg mit dem Vorstandsmitglied der EnBW, Dirk Güsewell, Vorstandsmitglied EnBW BW, über die aktuelle Energiesituation statt.
„Ich komme in einer spannenden und herausfordernden Zeit zu Ihnen!“ Eine Glaskugel habe er nicht und ihm sei sehr daran gelegen, weder zu beschönigen noch zu dramatisieren, so der Vertreter der EnBW BW.
Seiner Meinung zufolge habe die Gasmangel-Situation bereits vergangenen Herbst begonnen, weshalb er auch sehr verwundert darüber sei, weshalb die Diskussion erst jetzt aufkäme. Denn, zu einer akuten Mangelsituation hätte es bereits vergangenen Winter kommen können, wenn wir nicht so früh in diesen Sommer und so spät in den vergangenen milden Winter gegangen wären.
Nun habe man mit Eintritt in akute Kriegshandlungen und Erweiterung des Handlungsspektrums auf den Energiesektor eine neue Ausgangssituation - geltende Verträge und Mengen würden nicht eingehalten. „Wir sind zum Spielball in dieser kriegerischen Auseinandersetzung geworden“, so Güsewell. Insgesamt decke die Bundesrepublik mehr als 90 Prozent ihres Gasbedarfs aus Importen, weshalb die Abhängigkeit vom Ausland - insbesondere von Russland mit einem Anteil von über 50 Prozent - sehr groß sei.
Gasimporte
Aufgrund erschöpfter Gasfelder einiger europäischer Nachbarländer, wie beispielsweise den Niederlanden, bekämen wir Gas aktuell zudem nicht mehr in den bisher üblichen Mengen importiert. Daher müsse verstärkt auf Gasimporte aus anderen europäischen Ländern gesetzt werden. Zwar könne ein ganzheitlicher Ausfall russischer Gaslieferungen nicht langfristig kompensiert werden. Dennoch könne kurzfristig, also innerhalb von Tagen bis Wochen, etwa ein Drittel der russischen Erdgasimporte durch gezielte Energiesparmaßnahmen und kurzfristige Umstiege bei der Stromerzeugung auf andere Energieträger wie Kohle kompensiert werden. Sowohl die Industrie wie auch die privaten Haushalte spielten bei den Einsparungen eine wichtige Rolle. Aber auch Faktoren wie ein kurzer milder Winter 2022/23 könnten kurzfristig Abhilfe verschaffen.
Dass Gasimporte aus Russland momentan äußerst wichtig seien, ergäbe sich aus der Tatsache, dass „Erdgas zu je einem Drittel in private Haushalte, Industrie und Stromerzeugung“ flösse, weshalb Güsewell mit großer Erleichterung die Mitteilung vom Vortag über die Wiederaufnahme der Gaslieferung via Nord Stream 1 - wenn auch nur mit 40 Prozent der Maximalleistung - vernommen habe.
Aktuell befänden Deutschland sich in Alarmstufe 2 des Gas-Notfallplans der Bundesregierung, der auf einer EU-Verordnung von 2017 basiert. In dieser müssten Maßnahmen vom Energieversorger ergriffen werden, um die Gasversorgung geschützter Kunden - private Haushalte, Stromversorger, Krankenhäuser, Feuerwehr, Polizei, etc. - sicherzustellen.
„Global haben wir keine Gas-Mangelsituation“, fährt der Vortragsredner fort. Ein zentrales Problem, welches wir in Deutschland hätten, sei jedoch, dass „wir das Gas vom Weltmarkt nicht in unser Gasnetz eingespeist bekommen!“ - Stichwort „Regasifizierungsterminals“. Aber Projekte wie diese, die bis zur Umsetzung meist vier bis fünf Jahre Vorlauf bräuchten, seien eben nur Perspektiven für mittelfristige Sicht - nicht aber für den bevorstehenden Winter.
Flüssiggas
Um mittel- und langfristig von russischem Gas unabhängig zu werden, spiele sowohl die geregelte Gasbevorratung als auch die stärkere Nutzung von Flüssiggas (LNG) eine Rolle - letztere würde jedoch durch die damit geschaffene stärkere Abhängigkeit von den Weltmärkten einige Nachteile mit sich bringen, wie zum Beispiel ein höheres Preisniveau und -schwankungen.
In den nächsten zehn bis 15 Jahren sei definitiv auch der rasche Ausbau erneuerbarer Energien wichtig. „Der Transformations-Druck ist gewachsen! Der Wechsel von Erdgas zu grünem Gas in Form von Wasserstoff wird schneller kommen als gedacht“, bemerkte das Vorstandsmitglied der EnBW BW. Dass Deutschland in den nächsten zehn bis 15 Jahren jedoch ganz auf gasförmige Energieträger verzichten könne, hielt er jedoch für unwahrscheinlich.
Mit Stromversorger Kontakt aufnehmen
Zum Abschluss seines Vortrags wendet sich Güsewell noch mit einer direkten Aufforderung an die Betriebe: „Nehmen Sie mit Ihrem Stromversorger Kontakt auf. Lassen Sie sich beraten - von verschiedensten Stellen. Machen Sie sich über die Frage Gedanken, wo Sie als Betrieb am Verwundbarsten sind. Gibt es Alternativtechnologien, die Sie einsetzen können? Erarbeiten Sie mit Ihren Mitarbeitern einen Aktionsplan für eine möglicherweise eintreffende akute Mangelsituation. Behalten Sie Ihre Lieferketten im Blick! Überlegen Sie sich, wo Sie in Ihrem Betriebsalltag Einsparungen machen können.“
Die anschließende, spannende Fragerunde schloss Willi Stächele ab. Er betrachte den heutigen Abend als eine Art „Zwischenbilanz“ und wendet sich mit der direkten Bitte, im Winter zu einem weiteren Dialog wiederzukommen, an den Vertreter der EnBW BW. „Die Mittelständler dürfen jetzt nicht allein gelassen werden“, so Stächele.
Er forderte alle Anwesenden dazu auf: „Sprecht mit den Mitarbeitern! Nur Faktenkenntnis Stoppt Ängste und fördert Zuversicht. Wir alle wollen in Richtung Klimaschutz! Aber in Notsituationen wie der aktuellen müssen wir die Klimadiskussion neu betrachten! Wir können jetzt nichts übers Knie brechen! Wir sollten unseren Dialog fortsetzen und unsere soziale Verantwortung wahrnehmen."
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