Projekt im Nationalpark
Zersetzung von Kadavern zeigt großen Artenreichtum

 Ein Fuchs frisst an einem Kadaver im Nationalpark Schwarzwald.   | Foto: Fotofallenbild/Nationalpark Schwarzwald
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Seebach (st) Der Tod gehört zur Natur. Totes Holz und unzählige davon abhängige Pilz- und Käferarten sind Nationalparkgästen ein gängiger Begriff. Doch zum Prozessschutz gehören nicht nur Totholz, sondern auch tote Tiere: Wo geboren wird, da wird zwangsläufig auch gestorben. „Wenn man die Zersetzung toter Tiere über einen längeren Zeitraum beobachtet, wird deutlich, wie viel Leben ein totes Tier beherbergt und hervorbringt. Der Kreislauf des Lebens offenbart sich am Aas wie ein Zeitraffer im Vergleich zur Zersetzung abgestorbener Bäume“, sagt Jörn Buse, Sachbereichsleiter für wirbellose Tiere und Biodiversität im Nationalpark Schwarzwald.

Deutschlandweites Kadaverprojekt 

Während Totholz über Jahrzehnte hinweg abgebaut wird, dauert es bei einem toten Tier oft nur wenige Wochen. Viele verschiedene Arten – vom imposanten Adler über Marder und Aaskäfer bis hin zu Bakterien und Pilzen, die mit bloßem Auge nicht mehr zu sehen sind – haben sich auf diesen Energie-Impuls im Laufe der Evolution perfekt eingespielt. Um mehr über den ökologisch bedeutsamen Lebensraum Aas und das bisher noch viel zu wenig erforschte Zusammenspiel der verschiedenen Arten darin herauszufinden, wurde das Projekt „Belassen von Wildtierkadavern in der Landschaft – Erprobung am Beispiel der Nationalparke“ ins Leben gerufen.

Als einer von 13 deutschen Nationalparks ist der Nationalpark Schwarzwald seit 1. Oktober 2022 Partner des Projektträgers Universität Würzburg im BfN-Förderprojekt zur Erprobung der Wildtierkadaverbelassung in der Landschaft, die Freilandphase startete im Mai. „Projektziel ist es, erstmals über alle Nationalparks hinweg in den verschiedenen Großlandschaften – vom Gebirge über die Mittelgebirge bis hin zu den marinen Habitaten – standardisiert zu untersuchen, wie Aas in den verschiedenen Ökosystemen von Wirbeltieren, Insekten sowie Mikroorganismen (Bakterien und Pilze) genutzt wird“, erläutert Buse. Damit soll der Prozessschutz in Nationalparks um ein wichtiges Thema in der Wahrnehmung erweitert werden. Das Projekt läuft bis Ende 2027.

Erste Untersuchungen im Nationalpark Bayerischer Wald zeigten 17 Wirbeltierarten, 92 Käferarten, 97 Zweiflüglerarten, 1.820 Bakterienarten und 3.726 Pilzarten an der toten tierischen Biomasse. Ein Wildtierkadaver ist somit ein wahrer Hotspot der Biodiversität. Das erklärt auch, warum so selten tote Tiere im Wald zu beobachten sind: Der Abbau der Kadaver geht sehr rasch, wenn große Aasfresser und auch Insekten optimalen Zugang haben. „Ökologisch bedeutsam für den Abbauprozess sind vor allem die als Totengräber bekannten Aaskäfer, von denen es im Nationalpark Schwarzwald sieben verschiedene Arten gibt. Sie sind als Gesundheitspolizei im Wald unterwegs, vergraben kleinere Kadaver sofort und verwerten das Fleisch größerer Kadaver schnell“, erklärt Jörn Buse.

Einige dieser Arten betreiben auch eine Art von Brutpflege, was bei Käfern selten ist: Die Larven werden mit vorbereitetem Fleisch mehrere Tage gefüttert. Aas gibt viel mehr Nährstoffe frei als andere tote organische Materie wie Holz oder Blätter und ist damit sehr nahrhaft. Das, was sich beispielsweise aus einem 30 Kilogramm schweren Kadaver an Nährstoffen löst, entspricht in vielen Agrarsystemen einer Düngung über 100 Jahre hinweg. „Obwohl der Mehrwert für die Artenvielfalt grundsätzlich bekannt ist, ist es selbst in Nationalparks bislang kaum in das Management integriert worden, verunglückte Wildtiere der Natur zu überlassen, um Zersetzungsprozesse zu fördern“, sagt Raffael Kratzer, zuständig für Wildtierforschung und Wildtiermanagement im Nationalpark Schwarzwald. „Der Prozessschutz soll im Rahmen des deutschlandweiten Projektes jetzt auch bei uns im Nationalpark Schwarzwald um diesen wichtigen Aspekt erweitert werden.“

Wissenschaftliche Untersuchungen an Rehkadavern

Das auf fünf Jahre angesetzte Entwicklungs- und Erprobungsvorhaben mit Fördermitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) gliedert sich in ein Hauptvorhaben und eine wissenschaftliche Begleitung. Im Hauptvorhaben werden jährlich über einen Zeitraum von drei Jahren acht natürlich verendete oder bei Wildunfällen tödlich verunglückte und nicht mehr für den menschlichen Verzehr geeignete Rehkadaver an zufälligen Plätzen auf den Flächen der Schutzgebiete belassen. Dies ist auch eine unterstützende Maßnahme zum Erhalt seltener Kadaververwerter, wie beispielsweise des Kolkraben im Nationalpark Schwarzwald. „Wir sind uns bewusst, dass das für Gäste ein abschreckender, vielleicht auch emotionaler Anblick sein kann – auch wenn die Chance, einen Kadaver zu sehen, aufgrund der schnellen Verwertung sehr unwahrscheinlich ist. Gleichzeitig, sind tote Tiere ein bedeutsamer Teil natürlicher Prozesse und wir freuen uns, die wichtige Forschung zu diesem Thema unterstützen zu können“, sagt Nationalparkleiterin Britta Böhr.

Im Rahmen des Projektes wird wissenschaftlich ermittelt, welche Arten am Kadaver zu finden sind. Große Aasfresser werden mittels Fotofallen, Insekten mittels Bodenfallen, Pilze und Bakterien mit Hilfe von Abstrichen erfasst und genetisch analysiert. „Man bekommt durch die geplanten Untersuchungen ein viel besseres Verständnis vom Werden und Vergehen in der Natur, also dem Kern des Prozessschutzes“ sagt Jörn Buse.

Untersucht werden die optimalen Bedingungen des Aasangebots, um die Auswirkungen auf die Diversität der Kadaverbesucher schutzgebietsübergreifend zu optimieren. Am Ende sollen Handlungsempfehlungen für das Management in Nationalparks und Naturlandschaften gegeben werden können. Ein Wissens- und Ergebnistransfer übergreifend auf Deutschlands Wildnisgebiete ist ein großes Anliegen und Ziel aller am Projekt beteiligten Partner.

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