Die Glosse im Guller
Von Imageproblemen und großem Gottvertrauen

Das Handwerk klagt über viele unbesetzte Ausbildungsstellen. Verbände fordern deshalb ein gesellschaftliches Umdenken. Die duale Ausbildung müsse endlich genauso viel Wertschätzung erfahren wie die akademische. Ich sehe das Problem an anderer Stelle. Nicht das Handwerk hat ein Imageproblem, sondern die Erwerbstätigkeit überhaupt.

Die Ernährungsfrage

Nun soll schon Jesus gesagt haben: "Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte; euer himmlischer Vater ernährt sie." Als Katholikin habe ich großen Respekt vor dem Sohn Gottes. So völlig sorg- und arbeitslos mag ich aber trotzdem nicht in den Tag hinein leben. Denn im Gegensatz zu mir konnte Jesus fünf Brote und zwei Fische mengenmäßig so vermehren, dass 5.000 Leute davon satt wurden. Außerdem wusste er, wie man Wasser in Wein verwandelt. Da ist die Ernährung gesichert.

Neutestamentliche Lebensweise

Aber solche Bedenken scheinen überholt. Der Trend geht zur neutestamentlichen Lebensweise. Selbst bei denjenigen, die gar nicht an Gott glauben. An seine Stelle treten "die da oben", wer auch immer damit gemeint ist – im Zweifel wohl Vater Staat. Warum auch demütig Gebete an den himmlischen Herrn schicken, wenn man selbstbewusst Forderungen hier auf Erden stellen kann? Dazu muss man nicht mal sonntags in die Kirche. Trotzdem wollen alle am Wochenende frei haben und am liebsten den Freitag dazu. Der Anspruch ist mehr Lohn für weniger Arbeit. Mancher erwartet schon eine Prämie dafür, dass er nach der Mittagspause noch einmal an den Arbeitsplatz zurückkehrt. Fleiß gilt nicht mehr als Tugend, sondern als Laster all derer, die nicht chillen können.

Alles hat seinen Preis

Natürlich sollten wir nicht nur leben, um zu arbeiten, sondern arbeiten, um gut zu leben. Aber wer glaubt, Wohlstand sei eine gottgegebene Selbstverständlichkeit, sollte bedenken: Alles hat seinen Preis. Wenn keiner die Zeche bezahlt, droht ganz schnell die Vertreibung aus dem Paradies.

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