Eine Frage, Herr Stächele
"Man muss die Menschen mögen"
Ortenau. Willi Stächele ist ein echtes politische Urgestein und seit nunmehr 30 Jahren Mitglied im baden-württembergischen Landtag. Über Höhepunkte und die Veränderungen in der Parlamentsarbeit sprach er mit Matthias Kerber.
Mit welchen Erwartungen sind Sie vor 30 Jahren erstmals in den Landtag eingezogen?
Ich wollte, wie bei meiner Tätigkeit als Bürgermeister, nah bei den Menschen sein, ihre Ansichten ungeschminkt hören, aber auch politische Führung zeigen.
Über meine Kreistagstätigkeit hatte ich auch die Themen der Region im politischen Rucksack. In zehnjähriger Bürgermeistertätigkeit habe ich an Überzeugungsfähigkeit und Durchsetzungskraft dazu gelernt. Ich habe immer auf menschliche Bindung gesetzt und war mir stets klar darüber, dass ein neues „Spielfeld“ auch neue Herausforderung bedeutet.
Das Mandat hätte ich niemals angenommen, wenn ich gleichzeitig die Bürgermeistertätigkeit hätte aufgeben müssen. Mit Eintritt in die Landesregierung 1998, nach 17 Jahren als Bürgermeister in Oberkirch, war es dann aber zwingend.
Was waren die Höhepunkte ihrer parlamentarischen Tätigkeit?
1992 wurde ich als "Neuling“ sofort Sprecher für Rechts- und Verfassungsfragen, Justiz, aber auch Medienpolitik und Europa. Sicher, die Berufung in die Landesregierung 1998 und ihr dann 13 Jahre anzugehören war schon ein Höhepunkt meiner politischen Laufbahn.
Im Nachhinein empfinde ich auch die Bewältigung des Rücktritts als Landtagspräsident und das unglaubliche Mitgefühl und Wohlwollen der Menschen im Wahlkreis als persönlichen Einschnitt.
Von Hunderten von Reden habe ich besonders die Rede in Rom zum 80. Geburtstag von Papst Benedikt XVI. in Erinnerung – die einzige öffentliche Veranstaltung, die vom Land Baden-Württemberg und seinem Rundfunkorchester gestaltet wurde. Aber auch die nicht ganz schmerzfreien Höhen und Tiefen beim Übergang von Ministerpräsident Oettinger zu Ministerpräsident Mappus bleiben in Erinnerung.
Für mich war es immer ein Glücksgefühl, wenn ich Menschen beglückwünschen oder auszeichnen konnte. Höhepunkte waren sicher auch die hunderten von Anekdoten, die ich glücklicherweise in Kleinnotizen gesammelt habe.
Wie hat sich Parlamentsarbeit in den vergangenen 30 Jahren Ihrer Erfahrung nach verändert?
Die Autorität des Politikers hat gelitten. Tägliche destruktive Beschreibung der Politik hinterlassen tiefe Spuren – mit kritischen Beiträgen zum demokratischen Diskurs hat es oft nichts mehr zu tun. Es entscheiden immer mehr kurzfristige Stimmungen, die Shows von Spitzenkandidaten. Die Wahlkreisarbeit wird immer weniger gewürdigt, was mir für junge fleißige Kollegen leid tut.
Ich habe nie erwartet, wie soziale Medien und selbstgewählte Medienblasen die Kontakte der Menschen zum Politiker beschädigen können.
Der direkte Kontakt mit den Menschen leidet, weil die Nachfrage nach direkten Gesprächen und Begegnungen mit dem Politiker vor Ort gesunken ist. Manche Menschen nehmen nur dann Kontakt auf, wenn sie dem Politiker ihre eigene unumstößlich Meinung erzählen wollen. Da hilft nur eine Partnerschaft mit den der Gemeinschaft verpflichteten Ehrenamtlichen und den Vereinen. Ich sehne nach langer Corona-Distanz die Weinfeste, Konzerte, Sommerfeste und erst recht auch die Fastnacht, mit allen Begegnungsmöglichkeiten, dringendst herbei.
Ich halte nach wie vor nichts vom sogenannten Vollzeitparlamentarier. Die Gefahr, im politischen Hamsterrad atemlos zu werden, ist groß. Mir war meine berufliche Einbindung als Bürgermeister eine zwingende „politische Sauerstoffzufuhr“.
Und wenn man in der Bevölkerung für Bildung und Fortbildung wirbt, sollte man als Parlamentarier selbst auch Beruf und Erfahrung mitbringen. Aber das hat der Wähler ja in der Hand!
Welche Eigenschaften braucht man als Landtagsabgeordneter, um seine Vorhaben erfolgreich durchzusetzen?
Es braucht eine wachsende fachliche und persönliche Autorität, Menschlichkeit im Umgang und tragfähige Kontakte über die Parteigrenzen hinweg und natürlich Geduld zum "Dicke-Bretter-Bohren“.
Und für mich ist ganz wichtig: Humor und Gottvertrauen. Meine badische Mentalität, Geselligkeit und ein bisschen Lebenslust, Leben und leben lassen, habe ich in die schwäbische Metropole mitgenommen. Man muss die Menschen mögen und sich seine Neugierde bewahren.
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