Die Glosse im Guller

Ein Lästermaul leistet ganz demütig Abbitte

Jetzt gehöre ich auch dazu. 57 Jahre habe ich der Versuchung tapfer widerstanden. Doch nun warf ich alle Skrupel über Bord und kaufte erstmals vor dem 1. Advent Lebkuchen.
Es ist wahr: Genau an dieser Stelle machte ich mich schon über Menschen lustig, die bereits im August im Supermarkt Dominosteine und Zimtsterne in ihre Einkaufswagen stapeln, riss Witze über sonnenbebrillte Bikinischönheiten, die auf der Luftmatratze im Pool die Sonne genießen, in der einen Hand ein Glas eisgekühlte Limonade, in der anderen einen Pfefferkuchenmann. Dabei hatte ich selbst schon zur vermeintlich unpassenden Jahreszeit Printen in Aachen genascht. Damals erteilte ich mir in einer Bekenner-Glosse selbst Absolution, weil es im Urlaub im Rahmen einer Stadtführung geschah. Für eine Touristin von Welt gehört es schließlich zum guten Ton, auf Reisen die Spezialitäten der Einheimischen zu probieren. All diese Spitzen und ironischen Betrachtungen fielen mir gerade in dem Moment wieder ein, als ich verschämt Lebkuchen aus dem Aufsteller nahm.

Lieblingslebkuchen waren ausverkauft

Tatsächlich wurde ich für mein Lästermaul vom Geist der Weihnacht beim vergangenen Festtags-Familientreffen bestraft. Und ich will nicht noch einmal in die enttäuschten Augen unserer Kinder, Schwiegersöhne und -töchter blicken, weil ihre Lieblingsweihnachtsleckereien ausverkauft waren, als ich sie im Dezember endlich kaufen wollte. Da habe ich ähnlich betreten geguckt wie damals, als ich im Februar einen Wintermantel suchte. Es gab noch einzelne Restposten. Leider passte ich in Größe 34 damals nicht mehr und in 44 noch nicht rein. Außerdem stand mir die damalige Trendfarbe Lila einfach nicht.
Es gilt also zuzugreifen, solange das Angebot noch attraktiv ist – bei Mänteln ebenso wie Lebkuchen. Um die Qualität Letzterer zu prüfen, musste ich sie natürlich probieren – frei nach dem Motto: pfui, pfui, her damit. Ja, und ich bekenne: Lebkuchen schmecken auch bei 28 Grad im Schatten sehr lecker.