Fußnote, die Glosse im Guller
Das süße Gift der Gefahr

Ein lieber Kollege wollte uns am Mittwoch die Redaktionssitzung versüßen und brachte von ihm selbstgebackene Muffins mit. Ich wollte schon zugreifen, da schoss mir ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf. Darf ich das überhaupt erlauben?
Nach den Schlagzeilen über das Verbot von selbstgebackenen Kuchen in einem bayerischen Kindergarten wegen hauptsächlich hygienischer und haftungsrechtlicher Bedenken fühlte ich mich verunsichert. Die Muffins sahen sehr appetitlich aus, der Kollege ist gepflegt, gesund und wäscht sich nach dem Besuch der Toilette immer die Hände. Doch wer weiß schon. Vielleicht musste einer seiner Nachbarn niesen und der Wind wehte ein winziges Virchen durch das offene Küchenfenster, wo die Muffins zum Auskühlen standen.

Was sagt die Berufsgenossenschaft?

Inwieweit steht hier eine Redaktionsleitung in der Verantwortung? Angenommen, irgend etwas Fieses gerät unbemerkt in den Teig und knockt dann die gesamte Guller-Redaktion aus. Müsste ich nicht aus Sorge um das Erscheinen der Sonntagszeitung wenigstens der Hälfte der Mannschaft den Verzehr untersagen? Handelt es sich um einen Arbeitsunfall, wenn jemand aufgrund des Muffin-Genusses während der Redaktionskonferenz Schaden nimmt? Wäre ich nicht sogar verpflichtet, einen schriftlichen Warnhinweis mit Schockbildern vor den Kuchenteller zu stellen, der vor dem Verzehr von ungesundem Zucker warnt oder zumindest schnell eine Lebensmittelampel zu basteln? Wird mit dem Anbieten dieser süßen Sünde in einer offiziellen Arbeitssitzung gar ein gewisser, von der Chefredaktion gebilligter Gruppendruck auf den Einzelnen ausgeübt, Kalorien ohne großen Nährwert in sich zu stopfen? Oh je, handelt es sich genau deshalb vielleicht sogar um einen Fall von verstecktem Mobbing? Und vor allem: Was sagt die Berufsgenossenschaft zu dem Thema?

Angstschweiß auf der Stirn

Fragen über Fragen, die mir den Angstschweiß auf die Stirn trieben. Ich sah mich schon mit einem Fuß im Gefängnis. Schlimmer noch, von Angehörigen meiner Kollegen, Arbeitnehmerverbänden und vom Bundesminister für Gesundheit, Jens Spahn, in sozialen Medien an den Pranger gestellt.

Selbstgebackener Kuchen

Okay, wer mich ein bisschen kennt, der weiß natürlich: Das ist völliger Quatsch. Meine einzige Angst bestand darin, nicht genug abzubekommen. Der Teller stand noch nicht ganz auf dem Tisch, da verschwand bereits der erste Muffin in meinem gierigen Schlund. Ich lebe halt manchmal gerne gefährlich und gestehe das ebenso meinen Kollegen zu. Auch meine Tochter durfte sich im Kindergarten dem süßen Gift der Gefahr hingeben, wenn jemand zum Geburtstag selbstgebackenen Kuchen mitbrachte. Irgendwie tun mir die Knirpse heutzutage richtig leid, wenn ihnen solche Freuden versagt werden.
Anne-Marie Glaser
PS: Vielen Dank lieber Sebastian, deine Muffins sind klasse!

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