Hildegard von Bingen soll in ihren Visionen in direkter Verbindung mit Gott gestanden haben. Als Heilerin weist sie noch heute Wege zur Gesundung, wenn die Mittel der Schulmedizin versagen.
Das Mysterium Hildegard von Bingen

Hildegard von Bingen gehört zu den eindrucksvollsten Persönlichkeiten des Mittelalters. Zusammen mit Katharina von Siena, Teresa von Avila und Therese von Lisieux zählt sie zu den einzigen vier Frauen, die im Heiligenkalender verzeichnet sind. Die Mystikerin war eine frühe Universalgelehrte, die ihre Kraft in der Kommunikation mit Gott fand. In einer Vision erhielt sie den Auftrag, die Welt von ihren Eingebungen zu unterrichten. Fortan schrieb sie ihre Werke nieder, die bis heute ihren Zauber nicht verloren haben.

Es ist schwer, Hildegard von Bingen auf einen Nenner zu bringen. Dafür war sie zu vielseitig und dafür war sie zu bestrebt, unüberbrückbare Gegensätze wie Leib und Seele, geistiges und körperliches Schaffen sowie Mildtätigkeit und Strenge zu vereinen. Lassen wir es trotzdem versuchen.

Persönlichkeitsentwicklung im Kloster Disibodenburg

1098 wird Hildegard von Bingen als zehntes Kind einer edelfreien Familie in Bermersheim in der Nähe von Mainz geboren. In ihrer Autobiografie gibt sie an, bereits im Alter von nur drei Jahren ihre erste Vision erfahren zu haben. Mit acht Jahren kommt sie als Oblatin in das Benediktinerkloster Disibodenburg. Ihre Mentorin wird die spätere Äbtissin Jutta von Sponheim, die selbst eine beeindruckende Persönlichkeit gewesen war und von der es hieß, sie könne über Flüsse gehen und Wasser in Wein verwandeln.

Im Kloster, den im Mittelalter einzigen Stätten höherer Bildung, kommt Hildegard neben dem obligatorischen Beten und Arbeiten mit dem Grundkanon höherer Lerninhalte in Berührung. Unter anderem studiert sie Liturgie, Rhetorik, Dialektik, Geometrie, Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Grammatik und Musik. Für die Mystikerin mit dem holistischen Weltbild, für die Gott in jedem Sandkorn stecke, wird später jede Disziplin zu einem großen Ganzen verwoben, das der Herrlichkeit Gottes geweiht sei. Sie wird niemals aufhören zu suchen, lernen und forschen.

Heilerin Hildegard

1136 stirbt Jutta von Sponheim, in dessen Nachfolge Hildegard von Bingen tritt. Am Totenbett ihrer Vorgängerin sieht sie ihren Bußgürtel, der tiefe Wunden in ihren Leib geschlagen hatte. Hildegard von Bingen beschließt, das Kloster nicht in derselben fleischverachtenden Strenge zu führen. Zudem ordnet sie als Holistin auch den Körper den Wundern Gottes zu, der zum Heile der Heilung bedürfe. Dies ist der tiefere Hintergrund ihrer unnachahmlichen Tätigkeit als Heilerin. Für Hildegard von Bingen beruhten alle Krankheiten und Leiden auf eine Entfernung zu Gott. Die Pflanzen, Gewürze und Pilze untersucht sie akribisch im Hinblick auf ihre Heilwirkungen. Ihre Betrachtungen auf dem Gebiet der Heilpflanzen sind noch heute legendär, und ihr Erbe wird nun in einer Zeit wiederentdeckt, in der die Grenzen der Schulmedizin offensichtlich werden.

Ein steiniger Weg zum päpstlichen Segen

Die Lockerung der Sitten im Kloster stießen nicht überall auf Gegenliebe. Vor allem missfielen sie dem Abt Kuno, der ihr mehrmals vorwarf, das göttliche Gebot der Askese nicht genügend zu beachten. Vier Jahre nach der Ernennung zur Magistra kam es zu der Vision, in der sie von Gott den Auftrag erhalten haben soll, die Welt von ihren Visionen zu unterrichten.

Zu diesem Zweck musste sie beim Papst um Erlaubnis ersuchen. Die Entscheidung zog sich lange hin, sodass Hildegard viele Jahre vor der endgültigen Erlaubnis durch Papst Eugen III. mit der Niederschrift ihrer Visionen begann. Dass die Entscheidung von höchster Stelle auch hätte anders ausfallen können, beweisen die vielen Ketzerurteile in dieser Zeit. Im Mittelalter lagen Himmel und Hölle nahe beieinander, und selbst Lucifer diente bekanntlich als gefallener, aber eitel gewordener Engel einmal Gott. Auch in dieser Causa war die Liste derer, die gegen sie intrigierten, nicht klein gewesen.

Wunder und Lebensleistungen

Besonders ihre Werke Scivias, Causa et Curae, Liber Vitae Meritorum, Liber Divinorum Operum, Physica sowie ihr aus 77 Liedern bestehendes Gesangsbuch Ordo Virtutum sind noch heute wegweisende Schätze der Kirchengeschichte und in einer Stilart verfasst, die Geist und Seele gleichermaßen anspricht. Darüber hinaus zeugen sie von dem immensen Wissen einer Frau, die tief in die Geheimnisse von Theologie und Wissenschaften eindrang und der ihre Visionen in vielen Beziehungen den Weg wiesen. Die Bedeutung auf nicht religiöse Menschen erklärt sich vor allem durch Hildegards Beitrag zur Heilkunde, denn ihre Ergebnisse bestanden auch nach den Prüfungen moderner Wissenschaft.

Trotz ihrer unbändigen Gelehrsamkeit war sie eine zutiefst tatkräftige Frau, die mit den Berühmtheiten der damaligen Welt wie den Päpsten, Erbischöfen, Kaiser Barbarossa, König Heinrich II, Konrad III. und der Kaiserin von Byzanx korrespondierte und sie teilweise sogar persönlich traf. Darüber hinaus vermittelte sie zwischen streitenden Konventen und rief immer wieder Kleriker dazu auf, wieder auf den rechten Weg zurückzukehren. Sie predigte auf Marktplätzen und unternahm an ihrem Lebensabend vier Pilgerfahrten nach Lothringen, Franken, Schwaben und ins Rheinland. Als sie im damals gesegneten Alter von 81 Jahren starb, soll ein tagelanges Licht auf ihrem Grab zu sehen gewesen sein. Erst ein Verbot des Bischofs von Mainz an die Tote soll diese dazu gebracht haben, keine Wunderheilungen mehr vorzunehmen, um so den nicht abebbenden Strom an Pilgern zum Versiegen zu bringen.

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