Fußnote, die Glosse im Guller
Bildungspaket und Lobbyisten

Der Begriff Lobbyismus ist für viele negativ besetzt. Manche denken da sofort an Branchen wie die Waffenlobby und verbinden damit Männer und Frauen im edlen Zwirn, die Politiker zum Champagner einladen, um zwischen Beluga Kaviar und Kobe-Wagyu-Beef-Häppchen Vorteile für ihre finanzstarke Klientel rauszuholen. Die Realität wird in der Regel wohl weniger feudal aussehen. Tatsächlich geht es aber bei Lobbyarbeit um die Durchsetzung von maximalen Eigeninteressen.

Paritätischer Wohlfahrtsverband

Natürlich soll der Paritätische Wohlfahrtsverband nicht auf eine Stufe mit der Waffenindustrie gestellt werden. Aber auch er betreibt Lobbyarbeit für die Schwachen. Ob er sich dabei solcher Hilfsmittel wie Kaviar bedient, kann ich zwar nicht mit Sicherheit ausschließen, tippe aber eher auf Butterbrezeln. Dafür kann der Dachverband, dem laut Wikipedia über 10.000 soziale Organisationen vom Deutschen Kinderhilfswerk bis zum Jugendherbergswerk angehören, aber ein besonders schweres Geschütz auffahren: das soziale Gewissen.

Bildungs- und Teilhabepaket

Gerade hat der Paritätische Wohlfahrtsverband wieder mit einer Studie für Aufmerksamkeit gesorgt. Darin wird festgestellt, dass nur 15 Prozent der Kinder aus Hartz-IV-Haushalten vom Bildungs- und Teilhabepaket etwas haben. Dieses war vor acht Jahren von der Bundesregierung mit großem Trommelwirbel auf den Weg gebracht worden und soll mit Hilfe von Zuschüssen dafür sorgen, dass auch arme Kinder Vereinen beitreten oder an Klassenfahrten teilnehmen können. Der Paritätische Wohlfahrtsverband wetterte schon von Anfang an, dass dieses Paket nichts tauge. Nun prangert er es als vermeintlichen Rohrkrepierer an und fordert vereinfacht zusammengefasst: Arme Kinder sollen alles unbürokratisch und völlig kostenfrei bekommen. Bravo, das nenne ich geschickte Lobbyarbeit. Denn wer dagegen ist, fürchtet doch gleich die Stigmatisierung als Charakterschwein.

Was nichts kostet, ist nichts wert 

Ich bin es trotzdem. Bildung und Teilhabe sind teilweise, aber keineswegs nur eine Frage des Geldes. In meiner Kindheit gab es kostenlose Schulbüchereien, die ich als Mitglied einer Familie von Leseratten intensiv nutzte. Viele Klassenkameraden taten das nicht, weil sie schlicht keine Lust auf Lesen hatten. Außerdem erinnere ich mich an einen Jungen, der lieh sich einen ganzen Stapel aus und gab ihn nach zwei Mahnungen, kurz bevor eine Strafgebühr fällig geworden wäre, ungelesen zurück. Was nichts kostet, ist nichts wert. Das kann auch für Vereinsmitgliedschaften und Fußballschuhe gelten.

Welches Signal?

Bei allem echten Respekt vor dem Engagement des Paritätischen Wohlfahrtsverbands frage ich mich doch: Welches Signal senden wir als Gesellschaft aus, wenn rein gar kein eigener Beitrag mehr erforderlich ist, um etwas zu bekommen? Nicht zuletzt auch an die Kinder, deren Eltern zwar hart arbeiten, aber aufgrund niedriger Einkommen jeden Cent zweimal umdrehen müssen?
Anne-Marie Glaser

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