Fußnote, die Glosse im Guller
Albtraum oder Zukunftsvision?
Zum Glück war es nur ein Albtraum und als ich aufwachte, schien der Mond friedlich durch das Schlafzimmerfenster auf mein Bett. Es dauerte aber eine ganze Weile, bis ich das Hier und Jetzt realisierte. Denn im Schlaf hatte mich mein Traum in das Jahr 2027 entführt.
Verabschiedung Abiturienten
Es ist ein lauer Abend im Juli und in der Appenweierer Schwarzwaldhalle sitzen 23 festlich gekleidete junge Menschen mit Mund-Nasen-Schutz an weit auseinanderstehenden Einzeltischen. Auf der Bühne spricht ein Rektor mit einem Gesichtsvisier aus Plexiglas über den Abschied von der Schulzeit und Herausforderungen neuer Lebensabschnitte. Das Ganze wird auf große Bildschirme nach draußen übertragen, vor denen die Verwandten der frischgebackenen Abiturienten stehen und die Rede gerührt mitverfolgen. Dann erfolgt die feierliche Vergabe der Abschlusszeugnisse, die der Rektor unter Applaus den scheidenden Schülern jeweils direkt per Whatsapp auf ihr jeweiliges I-Phone sendet.
Noah-Henry, Samuel-Liam und Cataleya-Laura
Jahrgangsbeste ist Mia-Marie. Lächelnd nimmt sie den Beifall ihrer Mitschüler entgegen. Viele erkennt sie kaum wieder. Denn sie hat sie zuletzt vor sieben Jahren gesehen, als alle noch gemeinsam den Unterricht in der fünften Klasse besuchen durften. Anderen hat sie jeden Tag während des zweistündigen Gemeinschaftsunterrichts im Klassenzimmer zugewunken. Nur Noah-Henry, Samuel-Liam und Cataleya-Laura kennt Mia-Marie richtig gut, weil sie eine Fahrgemeinschaft bildeten. Da es zu aufwändig war, für die vielen kleinen Schülergrüppchen jeweils den Schulbus-Transport zu organisieren, haben während der vergangenen Jahre Eltern abwechselnd den Fahrdienst im Privatauto übernommen.
Niveau einer Achtklässlerin aus dem Jahr 2020
Einige Schüler hat Mia-Marie aber beim Trainieren im Fitnesstudio getroffen. Da der Sportunterricht wegen Corona ausfiel, hielten sich viele dort fit. Außerdem sah man sich im Europa-Park oder beim Shoppen. Mia-Maries Mutter jubelt besonders über die guten Noten der Tochter. Die Abiturientin kann ja nichts dafür, dass ihr Wissensstand dem Niveau einer Achtklässlerin aus dem Jahr 2020 entspricht. Richtiger Unterricht kann halt wegen der Corona-Gefahr nicht stattfinden.
Absurder Traum?
Was für ein absurder Traum, dachte ich noch, als ich endlich wach war. Wir werden in Baden-Württemberg doch nicht so blöd sein, unser wichtigstes Zukunftskapital Bildung auf den weiterführenden Schulen einfach so achselzuckend schleifen zu lassen! Oder etwa doch?
Anne-Marie Glaser
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