Personalmangel
Situation ist akut und auch wohlstandsgefährdend
Ortenau (mak). Verkürzte Öffnungszeiten in der Gastronomie, lange Schlangen an den Schaltern der Flughäfen zur Hauptferienzeit: Das sind nur zwei besonders sichtbare Formen des Personalmangels – ein Phänomen, dass auch in der Boomregion Ortenau voll durchschlägt.
Das sagt die WRO
"Sie können davon ausgehen, dass alle Betriebe in der Sorge um Arbeits- und Fachkräfte vereint sind", sagt Dominik Fehringer, Geschäftsführer der Wirtschaftsregion Ortenau (WRO) auf Guller-Nachfrage. Hierbei seien alle Branchen betroffen, so Fehringer weiter: "Vom kleinen Handwerksbetrieb bis zum industriellen Weltmarktführer, in der Gastronomie und Hotellerie, im Pflege- und Sozialbereich, in der öffentlichen Verwaltung und über alle Branchen hinweg herrscht akute Personalnot."
Das sind die Zahlen
Die Agentur für Arbeit in Offenburg kann diesen Befund mit Zahlen unterfüttern. Derzeit seien 5.623 Arbeitsstellen im Ortenaukreis zu besetzen. Davon würden sich 3.295 Stellen an Fachkräfte richten und 1.031 Stellen seien für Experten und Spezialisten ausgeschrieben. "Gesucht werden Fachkräfte vor allem im verarbeitenden Gewerbe, also in der Rohstoffgewinnung, Produktion und Fertigung. Aktuell gibt es dort 1.853 freie Stellen. Im Bereich Verkehr, Logistik, Schutz und Sicherheit besteht eine weiterhin große Nachfrage nach Hilfs- und Fachkräften, 1.058 zu besetzende Stellen sind dort gemeldet", erklärt Timo Honisch, Geschäftsführer Operativ der Agentur für Arbeit Offenburg auf Nachfrage der Guller-Redaktion.
Mehrarbeit für Beschäftigte
Die große Not, geeignete Arbeitskräfte zu gewinnen wirkt sich auch auf die Beschäftigten der betroffenen Unternehmen aus. Denn sie müssen in der Regel Mehrarbeit leisten. "Das Problem dabei ist, dass dies nicht über einen längeren Zeitraum tragfähig ist", sagt Honisch. Und der finanzielle Mehrwert aus der Vergütung der Mehrarbeit für die Arbeitnehmer wirke oft nur kurz. Zeichne sich keine Perspektive ab, würden die Beschäftigten zu anderen Betrieben oder in andere Branchen abwandern. Gerade die Pflegeberufe seien hierfür ein besonders viel diskutiertes Beispiel in der Öffentlichkeit, sagt Honisch.
Die Situation sei "akut wohlstandsgefährdend", findet man bei der WRO und die Risiken für die betroffenen Unternehmen mittelfristig hoch. Sinkende Ausbildungszahlen würden zudem wie ein Katalysator wirken und die Probleme in Zukunft verschärfen. Bei der WRO nimmt man auch die Bundesregierung in die Pflicht und findet deutliche Worte: "Die Bundesregierung tut zu wenig oder nichts, um diesen Zustand zeitnah abzuwenden. Mit einer marktnahen Steuerung qualifizierter Zuwanderung könnte man die Situation erheblich abmildern. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz muss dringend angepasst werden. Bisher ist es eher ein Verhinderungsinstrument", so Dominik Fehringer.
Suche nach Beschäftigten im Ausland
Den Blick ins nahe und ferne Ausland, um Arbeitskräfte zu rekrutieren, richtet seit Jahren beispielsweise auch der Europa-Park. "Neben Bewerbertagen vor den Toren von Paris ist der Europa-Park auch auf der Suche nach Fachkräften in Tschechien, Bulgarien, Polen sowie im zentralasiatischen Raum und auch in Südafrika", erklärt Diana Reichle, Leiterin Unternehmenskommunikation, Marketing, Sales und Digital des Europa-Parks auf Nachfrage. Innerhalb der Branche sei man aber gut aufgestellt. "In den Sommerferien erreichen wir mit Ferienjobbern wieder die vor Corona existierende Personalkapazität", so Reichle weiter.
Deckelung Besucherkapazitäten
Die Anfang des Monats von mehreren Medien berichtete Deckelung der Besucherkapazitäten auf 30.000 pro Tag aufgrund von Personalmangel will man beim Europa-Park nicht bestätigen. "Mit der variablen Deckelung, die nicht auf einen Personalmangel zurückzuführen ist, kanalisieren wir Besucherströme, um den Gästen ein optimales Erlebnis zu garantieren", erklärt Reichle. Die Frage nach offenen Stellen variiere beim Europa-Park stündlich, liege aber auf Vor-Corona-Niveau. Die Pandemie habe zu einer Delle bei der Personalstärke geführt. Diese sei vor allem darin begründet gewesen, dass der Europa-Park seinen Betrieb herunterfahren musste. "Wir haben uns davon gut erholt, haben wieder ein breit aufgestelltes Angebot bei uns im Unternehmen. Bei der Nachfrage haben wir unsere Aktivitäten stark ausgeweitet und sind dadurch in der Lage, zahlreiche Arbeitnehmer und Aushilfen zu gewinnen", erläutert Reichle.
Mitarbeiterbindung
Bei der Agentur für Arbeit geht man die Themen Personalnot und -gewinnung auf mehreren Ebenen an. Hierbei sieht man auch die Betriebe selbst in der Pflicht. Wichtig sei, dass Arbeitgeber alle Möglichkeiten ausschöpften, um die eigenen Arbeitsbedingungen so interessant wie möglich zu gestalten. Die sei aus zwei Gründen entscheidend: "Wer nicht aus Unzufriedenheit ausscheidet, muss nicht ersetzt werden. Und oft wird vergessen, dass die besten Headhunter bereits im eigenen Unternehmen sitzen. Wer nämlich die Tätigkeit in diesem Unternehmen gerne verrichtet, spricht auch positiv über den Betrieb. Spätestens, wenn Externe zum Probearbeiten kommen, hat die Arbeitszufriedenheit eine hohe Relevanz", weiß Timo Honisch. Auch die Nutzung von sozialen Medien müsse voll ausgeschöpft werden. Hierbei biete sich an, eigenes Personal als Werbeträger zu nutzen.
Weiterqualifizierung
Eine weitere Ebene, auf der die Agentur für Arbeit tätig wird, ist die Weiterqualifizierung von Hilfskräften, die noch keine Berufsausbildung haben. Die Agentur fördert die Erlangung eines Berufsabschlusses durch das Qualifizierungschancengesetz. Ohne eine Rekrutierung von Fachkräften aus dem Ausland gehe es aber nicht, ist sich Honisch sicher. Und weiter: "Dieser Weg verspricht aber keine Adhoc-Lösungen, sondern benötigt etwas Vorlaufzeit", so der Arbeitsmarktexperte.
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