Klinikum plant mit mehr Intensivbetten
Landrat für regionale Differenzierung
Ortenau (mak). „Es geht darum, fortlaufend zu prüfen, ob die ergriffenen Maßnahmen angemessen und erforderlich sind“, sagte Landrat Frank Scherer bei einer Pressekonferenz im Landratsamt im Zuge der voranschreitenden Lockerungen des Corona-Shutdowns. Dies seien schwere Eingriffe in die Grundrechte. Aus seiner persönlichen Sicht seien das Herunterfahren des öffentlichen Lebens und die Grenzkontrollen aber richtig gewesen. Es gebe sicherlich keine hundertprozentig richtige Entscheidung. „Das ist ein ganz schwieriges Geschäft“, so Scherer. Sensibilität sei hierbei besonders wichtig. „Ich finde es gut, dass die Menschen für die Grundrechte auf die Straße gehen und darauf aufmerksam machen“. Dass darunter auch Spinner seien, müsse eine Demokratie aushalten. „Wenn es möglich ist, für Klimaschutz auf die Straße zu gehen, dann muss dies erst recht für die Grundrechte möglich sein“, so Scherer.
Regionale Differenzierung
Richtig sei, dass die Lockerungen regional differenziert erfolgen. Er begrüßte auch die Lockerungen an der Grenze. „An der Regulierung, wer einreisen darf, hat sich nichts geändert. Lediglich die Lebenspartner sind jetzt vom Einreiseverbot ausgenommen. Nur das Verfahren an den Grenzübergängen wird gelockert“, so der Landrat. Demnach werde nicht mehr jedes Fahrzeug kontrolliert, sondern es würden nur noch Strichproben durchgeführt. Dieses Verfahren gilt ab Samstag, 16. Mai. Alle Grenzübergänge seien ab Samstag wieder geöffnet. Ob Tram und Fähren ihren Betrieb wiederaufnehmen, hänge vom Betreiber ab, so der Landrat weiter.
Bund und Länder hatten am Mittwoch zwar eine deutliche Lockerung der Corona-Auflagen vereinbart, zugleich aber beschlossen, dass ein Beschränkungskonzept umgesetzt werden soll, wenn in Landkreisen oder kreisfreien Städten mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche registriert werden - eine sogenannte "Notbremse". Auch hierauf ging Landrat Scherer ein. Für den Ortenaukreis bedeutet das, dass die Zahl von 215 Neuinfektionen nicht überschritten werden darf. Scherer betonte, dass ihm hierbei eine differenzierte Betrachtung wichtig sei. „Ein alleiniges Abstellen auf die Zahl reicht mir nicht.“ Er plädierte dafür, auch die möglichen Behandlungskapazitäten sowie die Möglichkeiten der Ermittlung der Kontaktpersonen mit in den Blick zu nehmen. Es müsse das konkrete Geschehen vor Ort in den Fokus genommen werden. Die dort angebrachten Maßnahmen müssten dann nicht zwingend auf das gesamte Kreisgebiet ausgeweitet werden.
Darüber hinaus müssten die Kriterien für Neuinfektionen landesweit gleich sein, mahnte der Landrat an, vor allem beim Testumfang. „Wir brauchen eine klare Regelung des Landes mit Testungsstrategie und landesweitem Monitoring“, so Scherer, der in seinen Ausführungen auch Einblick in die Personalsituation des Gesundheitsamtes gab.
Personalsituation
Vor der Corona-Krise habe es dort 44 Vollzeitstellen gegeben. Dies sei eine Unterbesetzung von acht Stellen gewesen. Davon seien 41 ausschließlich mit Corona beschäftigt gewesen. Vom Robert-Koch-Institut habe das Gesundheitsamt zwei sogenannte Scouts für die Ermittlung von Kontaktpersonen zur Verfügung gestellt bekommen. 22 zusätzliche Stellen habe das Landratsamt in Eigenregie geschaffen, so Scherer und innerhalb der Behörde seien noch einmal 36 Personen rekrutiert worden, die sich jetzt mit der Bekämpfung der Pandemie beschäftigen. „Nach der Finanzierung hat noch niemand gefragt“, so Scherer. Wie groß die Diskrepanz zwischen Soll- und Ist-Zustand ist, machte er anhand des Landeskonzeptes zur Personennachverfolgung deutlich. Demnach brauche der Ortenaukreis hochgerechnet 107 Personen, um die Infektionsketten nachverfolgen zu können. „Von den 101 Personen im Kreis sind aber nur 29 als Ermittler tätig. Ich bin gespannt, wo das Personal herkommen soll“, fragt Scherer.
„Wenn es bei dem momentanen Stand von zehn Neuinfektionen pro Tag bleibt, reicht das Personal nicht aus“, betonte Dr. Evelyn Bressau, Leiterin des Gesundheitsamtes. Auch wisse sie nicht, wie die Aufforderung vom Land, den normalen Dienst wiederaufzunehmen, bewältigt werden könne. „Wir müssen den Weg der Priorisierung gehen“, so Bressau. Auch seien die Einschulungsuntersuchungen momentan nicht möglich.
Eine interessante Zahl hatte Bressau auch noch im Gepäck. Nach ersten Auswertungen des Gesundheitsamtes seien von den bisher rund 1.200 Infizierten rund ein Drittel aus dem Gesundheitssektor.
Mehr Intensivbetten in Planung
Dieser ist mit Blick auf die Kliniken der Ortenau gut aufgestellt. „Wir halten immer noch relativ viel Intensivkapazitäten für Covid-Patienten vor, mehr als die vom Land empfohlenen 30 Prozent“, so Klinikchef Christian Keller. In allen Standorten des Ortenau Klinikums werde schrittweise der Regelbetrieb wiederaufgenommen. „Wir sind im grünen Bereich.“
Die Erfahrungen mit der Corona-Krise haben aber auch Auswirkungen auf die geplante Änderung der Kliniklandschaft in der Ortenau. „Bei der Neuplanung soll die ursprünglich angedachte Zahl der Intensivbetten erhöht werden“, erklärt Keller. Und weiter: „Wir planen zudem den Bau von mehr Schleusen, vor allem in den Notaufnahmen und auf den Intensivstationen.“ Zu den möglichen Verlusten des Klinikverbundes konnte Keller keine Angaben machen. „Wir machen gerade eine Hochrechnung. Es ist schwer abzuschätzen, was die Krise kostet.“
Flächendeckende Tests in Alten- und Pflegeheimen
Die Krise werde auch für die Hausärzte finanzielle Auswirkungen habe, erklärte Dr. Doris Reinhardt von der Kassenärztlichen Vereinigung. „Die Hausarztpraxen müssen einen enormen logistischen Aufwand unternehmen, um die Trennung der Patienten zu gewährleisten“, so Reinhardt. In den Ortenauer Hausarztpraxen würden zudem bis zu 1.600 Tests pro Woche durchgeführt, die nicht gesondert abgerechnet würden. Sie wies auch noch einmal darauf hin, dass es sehr wichtig sei, „die Infizierten möglichst früh zu erwischen, da sie gerade in der Anfangsphase besonders ansteckend sind.“ Geplant ist zudem eine flächendeckende Testung der 66 Alten- und Pflegeheimen in der Ortenau und zusätzlich des dazugehörigen Personals. „Wir brauchen die Daten, um uns ein besseres Bild machen und besser auf die Pandemie einstellen zu können“, so Reinhardt. Und weiter: „Es gibt kein Symptom, dass nicht zu Covid passt“, so die Medizinerin abschließend.
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