Krisen-Erfahrungen von Menschen mit Behinderung
"Ich habe meine Kollegen vermisst"
Ortenau (rek). Das Angebot der Lebenshilfe-Vereine besteht normalerweise aus Wohngruppen, Freizeitangeboten und Arbeitsplätzen in Werkstätten: Wie die Pandemie Menschen mit Behinderung getroffen hat, die ebenfalls aus ihrem Alltag herausgerissen wurden, berichten zwei Vereine.
"Der gewohnte, strukturierte Tagesablauf, die Arbeit, die Kollegen, vertraute Bezugspersonen – das ist für die Menschen mit Behinderung sehr wichtig", berichtet Achim Feyhl, Geschäftsführer der Lebenshilfe Offenburg-Oberkirch. Dies alles sei mit einem Tag auf den anderen nicht mehr gegeben gewesen, als Mitte März aufgrund der Pandemie Werkstätten sowie die Förder- und Betreuungsgruppen geschlossen wurden. "Wir durften nur eine Notbetreuung anbieten", so Fehyl. Diejenigen, die in Wohneinrichtungen der Lebenshilfe leben, "konnten über eine lange Phase keine Besuche erhalten und unsere Bewohner durften auch nicht zu ihren Familien".
"Die von uns betreuten Mitarbeiter und deren Angehörige kamen zu Beginn der Pandemie zunächst erstaunlich gut zurecht", schildert Geschäftsführer Markus Tolksdorf für die Lebenshilfe Baden-Baden, Achern und Bühl. "Je länger die Situation angehalten hat, desto mehr fehlten ihnen allerdings die Struktur in der Werkstatt, die Sozialkontakte untereinander und der Austausch mit den Gruppenleitern." Schließlich wurden bei beiden Lebenshilfe-Vereinen alle Kitas und die Werkstätten geschlossen sowie sämtliche Angebote der Offenen Hilfen abgesagt. "Für diesen Fall hatten wir bereits Anfang März einen Krisenstab gebildet und Notfallpläne erarbeitet. Darin wurde festgelegt, welche Arbeiten auf jeden Fall aufrecht zu erhalten sind und wie Angestellte geschlossener Einrichtungen bereichsübergreifend eingesetzt werden können", berichtet Tolksdorf. "Dank den frühzeitigen und umfangreichen Hygienemaßnahmen sowie der vorbildlichen Disziplin unserer Angestellten hatten wir bis zum heutigen Tag in keiner unserer Einrichtungen einen bestätigten Corona-Fall", so Tolksdorf.
Erklärt habe man den Menschen mit Behinderung in den Offenburger und Oberkircher Einrichtungen die jetzt geltenden Regeln "durch einfache Sprache und mit Bildern", so Feyhl, der ergänzt, dass "über das Lebenshilfe-Netzwerk rasch Materialien und Medien zur Verfügung standen". Jetzt werden die verschiedenen Bereiche wieder mit Leben gefüllt: Allerdings sei die Situation "in der Schule anders als in den Werkstätten und im Bereich Offene Hilfen anders als im Bereich Wohnen", so Tolksdorf. "Zu Hause wurde es langweilig und ich habe die Gruppenleiter und meine Kollegen sehr vermisst", freut sich etwa Monika Kurz, Mitarbeiterin in der Werkstatt.
"Aktuell werden Freizeitangebote angepasst und weiterentwickelt", freut sich Feyhl, dass wieder Aktivitäten stattfinden können. Auch für Baden-Baden, Achern und Bühl gibt es wieder Freizeitangebote. Urlaubsangebote finden in den Sommerferien nur teilweise statt und nicht alle Personen können berücksichtigt werden", erklärt Tolksdorf das reduzierte Angebot aufgrund der Krise.
Schwierig sei es aber, unter Auflagen alles hochzufahren. „Ich halte es für sehr bedenklich, dass wir als Einrichtung nur dann die vereinbarten Entgelte von den Kostenträgern bekommen, wenn wir unsere Leistungen wieder für alle vollumfänglich anbieten. Damit geraten wir zunehmend unter Druck und stecken ethisch in einem Dilemma", sieht Tolksdorf die Situation kritisch: Man sei auf allen Ebenen mit Verbänden und der Politik in Gesprächen und suche gemeinsam nach Lösungen, auch angesichts der angespannten finanziellen Lage der Kommunen, die zugleich Kostenträger seien.
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