Interview mit Martin Wetzel
Stichwort Ärztemangel
Mittlerer Schwarzwald. Das MQNK steht für Medizinisches Qualitätsnetzwerk Ärzteinitiative Kinzigtal e. V., ein Netzwerk aus niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten, deren Ziel eine hochwertige medizinische Versorgung der Menschen im Kinzigtal ist. Es wurde 1993 gegründet, ist das älteste bestehende Netzwerk dieser Art in Deutschland und Gesellschafter der Gesundes Kinzigtal GmbH. Anne-Marie Glaser sprach mit dem Vorsitzenden und niedergelassenen Allgemeinmediziner Martin Wetzel über das Problem des Ärztemangels.
Bundesweit wird beklagt, dass die Zahl der niedergelassenen Ärzte im ländlichen Raum abnimmt. Wie stellt sich die Situation im Kinzigtal dar?
Im Grunde genommen ist die Situation dort genauso wie in ganz Deutschland, nur ein bisschen zeitverzögert. Momentan liegt der Altersschnitt der Kollegen im Netzwerk um die 60. Der Nachwuchs kommt aber nicht in den Massen, wie es notwendig wäre, weshalb das Problem also absehbar ist.
Was wird konkret getan, um dem Problem zu begegnen?
Um Nachfolger für die Praxen zu finden, hat die Gesundes Kinzigtal GmbH das Programm „Praktische Zukunft“ aufgelegt. Adressaten sind Medizinstudenten im letzten Studienjahr und junge Ärzte in der Facharzt-ausbildung, die dann ihre Weiterbildungszeit hier verbringen können, um sie anschließend bevorzugt in die Hausarztpraxen der Region zu bringen. Das funktioniert bislang gut und die meisten Programmteilnehmer sind heute in einer Praxis im Kinzigtal „eingestiegen“. Allerdings reicht die Zahl jedoch nicht aus. Zumal wir für jede frei werdende Praxisstelle inzwischen zwei Bewerber benötigen, die Kassenärztliche Vereinigung geht sogar von drei aus. Das liegt auch daran, dass die meisten Studienabgängerinnen heute weiblich sind. Viele erklären von vorneherein, dass sie aufgrund ihrer Familienplanung nur Teilzeit arbeiten möchten. Hinzu kommt, dass die Arbeitsbedingungen in Deutschland schlechter geworden sind. Die Bezahlung ist im Verhältnis zur Leistung unzureichend und die Reglementierungen haben exponentiell zugenommen. Eine eigene Praxis strebt heute deshalb längst nicht mehr jeder an. Gleichzeitig gibt es viele Angebote aus der Schweiz, wo die Bedingungen besser sind. Gegen diese kommen wir nicht an.
Welche Anstrengungen sollten seitens der Lokalpolitik noch unternommen werden, damit die Region hier besser aufgestellt ist?
Die Lokalpolitik hat großes Interesse an einer funktionierenden medizinischen Versorgung. Vielerorts wird das Problem aber noch gar nicht so wirklich ernst genommen. So spielen wie für alle gesuchten Fachkräfte auch für Mediziner weiche Standortfaktoren bis zu einem gewissen Grad eine zusätzliche Rolle. Konkret kritisieren junge Kollegen mit Kindern beispielsweise im Kinzigtal oft die Schulsituation. Ein anderes Beispiel: In den neuen Bundesländern ermöglichen Kommunen mitunter den Erwerb von Bauplätzen oder kommen Ärzten bei der Miete für Praxen entgegen. Hier sind wir noch etwas träge. Selbstverständlich kann die Lokalpolitik das Problem des Ärztemangels nicht alleine lösen, aber in anderen Gegenden sind Kommunen aktiver.
Angenommen, die Gesellschaft müsste sich damit abfinden, dass es einfach nicht mehr genügend Ärzte gibt. Welche von den diskutierten Ansätzen wie Videosprechstunden oder mobile Ärztestationen halten Sie persönlich für richtungsweisend?
Die Gesellschaft wird sich damit abfinden müssen, dass die Zahlen weiter zurückgehen werden. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung schätzt, dass ab 2025 schon mehr als 10.500 Hausärzte in Deutschland fehlen werden. Videosprechstunden werden jetzt schon in Teilen praktiziert. Aber dazu müssen die Netze auch gut ausgebaut sein. Davon abgesehen gibt es Dinge, die lassen sich über Video nicht machen. So kann ich mir vielleicht eine Wunde ansehen, aber keinen Verband wechseln oder nicht die Lunge abhören. Hier gibt es Grenzen, das muss man einfach sehen. Für eine gewisse Entlastung können nichtärztliche Praxisassistenten sorgen. Das sind medizinische Fachangestellte mit einer Zusatzausbildung. Eine solche bietet auch die Gesunde Kinzigtal bereits an. Nichtärztliche Praxisassistenten können delegierte Aufgaben wie Verbandswechsel oder Therapiekontrolle übernehmen. Ich weiß auch von einem Versuch, eine mobile Ärztestation zu etablieren. Das ist besser als nichts, aber alles kein wirklicher Ersatz.
In welchen Bereichen können Computer oder Roboter Ärzte ersetzen?
Ich habe auf einem Kongress in Singapur das Konzept der Gesunden Kinzigtal vorgestellt. Auf diesem konnte ich ebenfalls sehen, dass Asien bei unterstützenden IT-Systemen wesentlich weiter ist als wir in Europa. Da gibt es hervorragende medizinische Datenbanken. Solche könnten bei uns sicher stärker eingesetzt werden und eine gute Unterstützung bieten. Die Vorstellung aber, dass ein Computer in letzter Konsequenz bestimmt, welche medizinische Entscheidung getroffen wird, ist für mich völlig abwegig. Sehr interessant ist übrigens, welche Möglichkeiten es bereits in der Pflege gibt. Auf diesem Gebiet ist man in Asien ebenfalls sehr offensiv. Das ist natürlich mit entsprechenden Kosten verbunden. Da schließt sich der Kreis dann wieder. Ob wir uns das leisten können und wollen, ist allerdings keine Frage, die ein Arzt zu beantworten hat. Das muss die Gesellschaft tun.
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