Christian Mihr und Michael Brand im Interview
„Gewalt gegen Journalisten nimmt zu”
Berlin. (st) Christian Mihr von „Reporter ohne Grenzen“ und Menschenrechtspolitiker Michael Brand (CDU) über Presse- und Meinungsfreiheit
Die Vereinten Nationen erinnern jedes Jahr am 10. Dezember an die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vor 65 Jahren. Auch wenn die Meinungs- und Pressefreiheit als unveräußerliches Recht im Grundgesetz verankert ist, steht Deutschland in der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit nur auf Platz 16.
Über den Zustand der Presse- und Meinungsfreiheit sprachen für den Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter (BVDA) die Redaktionsleiter Tobias Farnung und Hendrik Stein mit dem Geschäftsführer von „Reporter ohne Grenzen“, Christian Mihr, und dem menschenrechtspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Michael Brand.
Die WM in Katar läuft auf Hochtouren. Wie halten Sie es persönlich mit dem Sport-Event, das hierzulande massiv in der Kritik steht?
Christian Mihr: Ich schaue mir das eine oder andere Spiel zwar an, werde aber nicht müde, diese Veranstaltung zu kritisieren. Die Lage der Menschenrechte und der Pressefreiheit in Katar ist schlimm. Allerdings hatten wir auch eine Weltmeisterschaft in Russland gehabt, bei der die Kritik in der Öffentlichkeit längst nicht so laut war.
Michael Brand: Mir ist bei dieser WM die Freude am Fußball komplett vergangen. Daher findet sie dieses Mal ohne mich statt. Es geht der FIFA nicht um den Sport, sondern lediglich um Kommerz. Leider duckt sich der DFB angesichts der Korruption im Weltfußballverband weg und hat sein Versprechen eines neuen Kurses nicht eingehalten.
Darf man eine Fußball-WM überhaupt in ein Land vergeben, das bei der Pressefreiheit weltweit auf Platz 119 steht?
Mihr: Der DFB hat unmittelbar vor der WM die Latte selbst sehr hoch gelegt. Allerdings muss man feststellen, dass der Verband zumindest in Katar weitgehend gescheitert ist. Die FIFA ist eine teils korrupte Vereinigung, die vor allem dem Geld folgt. Und da hat der DFB leider nichts entgegengesetzt. Ich bin gespannt, wie sich die Bundesregierung künftig in Sachen Vergabe positionieren wird. Zwar ist eine Fußball-WM in erster Linie eine Sportveranstaltung, die Politik könnte aber Einfluss nehmen.
Welche Möglichkeiten hat die Politik, auf eine WM-Vergabe einzuwirken?
Brand: Es gibt das richtige Instrument der Spitzensportförderung, aber Steuergeld für Spiele von Diktaturen ist sicher nicht in Ordnung. Auch kann die Gesellschaft Einfluss auf die Verwendung von TV-Geldern durch die öffentlich-rechtlichen Sender nehmen. Es gibt also Stellschrauben, die man nutzen kann. Und es gibt national und international von Politik bis NGOs immer mehr Leute, die ein Umdenken fordern. Es muss aufhören, dass sich zum Beispiel ein deutscher IOC-Präsident vor Chinas Diktator Xi Jinping verneigt. Fußball-Weltmeisterschaften und Olympische Spiele sollen eigentlich Menschen verbinden. Ein Verband wie der DFB, der eine ganze Menge an Steuergeldern erhält, muss mehr tun, als leere Statements zu publizieren. Wir sind aber gut beraten, uns besser als Demokratien um solche Events zu bewerben – mit freiheitlichen, nachhaltigen und regionalen Konzepten.
Kann ein Event wie eine Fußball-WM nicht auch die Lage im Land verbessern?
Mihr: Das wird oft und gerne behauptet. Diese These ist allerdings historisch widerlegt. Wir hatten beispielsweise Olympische Spiele in China und eine WM in Russland. Das sind zwei Großereignisse, bei denen es im Anschluss keine Verbesserungen in Sachen Menschenrechte oder Meinungsfreiheit gegeben hat. Das Gegenteil ist der Fall. Dort hat sich die Lage seither massiv verschlechtert.
Wo liegen die konkreten Probleme für Journalisten in Katar?
Mihr: Es gibt sehr scharfe Gesetze, durch die beispielsweise eine Vorzensur geregelt ist. So müssen Texte vor Veröffentlichung vorgelegt werden. Deshalb vermeiden es Journalisten häufig, über kritische Themen zu schreiben. Ein weiteres Gesetz soll Cyberkriminalität verhindern. Es wird im Alltag allerdings oft missbraucht, um online keine ungewünschten Inhalte verbreiten zu können. Ansonsten werden Geldstrafen verhängt. Immerhin müssen Journalisten in Katar aber nicht fürchten, dauerhaft ins Gefängnis gesperrt zu werden. Wobei es allerdings kurzfristige Inhaftierungen von Journalisten gab, die beispielsweise kritisch über die Zustände auf den WM-Baustellen berichteten.
Und wie ist die Lage für ausländische Journalisten, die beispielsweise über die Weltmeisterschaft berichten möchten?
Mihr: Man muss im Vorfeld ankündigen, über welche Themen man berichten möchte. Das ist nicht das, was wir unter Pressefreiheit verstehen. Aber immerhin können ausländische Journalisten nach Katar reisen, ohne dass ihnen etwas passiert, außer dass sie engmaschig überwacht werden. Sie haben allerdings eine große Verantwortung gegenüber ihren Gesprächspartnern vor Ort, dass diese nicht in Gefahr gebracht werden.
Wie sieht die weltweite Tendenz in Sachen Presse- und Meinungsfreiheit aus?
Mihr: Pressefreiheit und auch andere Menschenrechte sind weltweit auf dem Rückzug. Die Demokratien werden zunehmend zur Minderheit.
Brand: Wir befinden uns mitten im Kampf um unsere freiheitlichen Werte. Die autoritären Staaten und Diktaturen treiben die Einschränkung von Meinungs- und Pressefreiheit immer weiter voran. Das sieht man zum Beispiel in China, in Russland oder in der Türkei. Aber auch in Europa. Wir müssen nur nach Polen schauen. Oder aktuell nach Serbien – einem EU-Beitrittskandidaten. Unter dem jetzigen Präsidenten, der früher schon mal Propagandaminister des Kriegsverbrechers Milosevic war, kommt es vor, dass missliebige Journalisten abends nach Hause kommen und von Hooligans zusammengeschlagen werden. Und das geschieht bei einem Partner Putins – und einem EU-Beitrittskandidaten.
Aber auch in Deutschland steht nicht alles zum Besten. Im weltweiten Vergleich belegen wir nur Platz 16. Wo liegen hier die Probleme?
Mihr: Eine Haupterklärung für diesen Ranglistenplatz ist die Zunahme von Gewalt gegen Journalisten. Dabei handelt es sich vor allem um Taten aus dem Querdenker-Milieu. Das hat in den vergangenen drei Jahren dazu geführt, dass Journalisten etwa nicht mehr frei über Demonstrationen berichten konnten. Es gibt aber darüber hinaus einige strukturelle Einflüsse – etwa die stärkere Medienkonzentration und den damit verbundenen Verlust an Medienvielfalt.
Nicht wenige Deutsche zweifeln an der Pressefreiheit in unserem Land. Bereitet Ihnen das Sorge?
Mihr: In den vergangenen Jahren hat sich das Misstrauen gegenüber den Medien nicht signifikant erhöht. Das zeigen zahlreiche langfristige Studien. Im Gegenteil: Seit Beginn der Corona-Pandemie ist das Vertrauen sogar leicht gestiegen. Aber grundsätzlich sind es immer 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung, die den Medien misstrauen. Ich finde, das ist auch ein Ausdruck einer funktionierenden Demokratie, die Zweifel an Medien ermöglicht. Was mir Sorge bereitet, ist aber die zunehmende Gewalt gegenüber Journalisten.
Ist die hohe Glaubwürdigkeit von Anzeigenblättern darauf zurückzuführen, dass sie vor allem über sehr lokale Themen berichten, die für die Leser auch nachprüfbar sind?
Mihr: Das könnte ein Grund sein. Auf jeden Fall leisten die kostenlosen Wochenzeitungen einen wichtigen Beitrag zur Meinungsvielfalt in Deutschland. In meiner Heimat wurde aus zwei Tageszeitungen irgendwann nur noch eine. Da hat sich das lokale Anzeigenblatt als echter Konkurrent hervorgetan. Und diese Konkurrenz ist für die Vielfalt auch notwendig.
Diese Vielfalt ist heute durch steigende Papierpreise und Zustellkosten sowie Veränderungen des Werbemarkts gefährdeter denn je. Ist hier die Politik gefragt?
Brand: Die Anzeigenblätter spielen eine wichtige Rolle. In Zeiten von Algorithmen, Twitter und alternativen Fakten ist es wichtig, dass wir redaktionell gut gemachte lokale Blätter haben, die die Menschen in ihrem Umfeld abholen. Darum ist es wichtig, dass die Demokratie reagiert und mit Presseförderung nicht nur digitale Transformation der Verlage fördert, sondern auch gedruckte kostenlose Lokalzeitungen. In einer Demokratie müssen alle ein Interesse daran haben, unabhängige Medien in der Fläche in gedruckter Form für alle verfügbar zu halten. „All things are local“ heißt ein wichtiger Satz. In den USA hat das Sterben guter lokaler Berichterstattung viel zur Krise der Demokratie beigetragen. Zudem gibt es noch immer viele Menschen, die Informationen lieber gedruckt aufnehmen möchten.
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