Tiefe Wunden bei Frauen und Kindern durch Gewalt

Inge Vogt-Goergens, Vorsitzende des Vereins „Frauen helfen Frauen“
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Der Verein „Frauen helfen Frauen“ feiert am Samstag einen Festabend zu „30 Jahre Frauenhaus Ortenau“ im KiK in Offenburg. Neben Musik und Gesprächen werden auch Oberbürgermeisterin
Edith Schreiner und Kreis-Sozialdezernent Georg Benz die Geschichte und
Notwendigkeit der Einrichtung beleuchten. Am Abend gibt die Band „Miss
Fox“ ab 21 Uhr im KiK ein Konzert. Über die Arbeit des Vereins und das
Frauenhaus ein Gespräch mit der Vorsitzenden Inge Vogt-Goergens.

30 Jahre Frauenhaus in der Ortenau: Gab es einen speziellen Anlass für die Gründung?
Aus der Friedensbewegung in den 80-er Jahren in Offenburg entstand eine
Frauengruppe die fragte: Wie sieht es mit dem Frieden im Privaten aus?
Eine Hebamme oder Erzieherinnen hatte auch Kontakt zu Frauen die
häusliche Gewalt erlebt haben. Es gab keine Möglichkeit zu helfen. So
gründeten wir 1982 den Verein Frauen helfen Frauen Ortenau. Es war die
Zeit in der bundesweit Frauenhäuser entstanden.

War es schwer, in der damals noch stärker von Männer dominierten Politik das Frauenhaus durchzusetzen?
Unserer Forderung nach einem Frauenhaus lösten wir Debatten, ungläubige Fragen
und Männerempörung aus. Es wurde immer wieder versucht das Thema in
Lächerliche zu ziehen. Am 9. Dezember 1982 schrieb uns das Landratsamt:
„Allerdings können wir die Notwendigkeit des Bedarfs einen Frauenhauses
in Offenburg nicht sehen. Wie aus den Unterlagen der Stadt Offenburg
hervorgeht, ist dort kaum Bedarf und im Ortenaukreis überhaupt kein
Bedarf vorhanden.“ Gleichzeitig meldeten sich bei uns geschlagene
Frauen, die dringend von zu Hause weg wollten – wir schafften zunächst
private Unterkunftsmöglichkeiten. Im August 1983 hatte der Verein 4000
D-Mark und die Möglichkeit eine Wohnung anzumieten, wir griffen zu.

Können Sie Zahlen nennen, wie vielen Frauen die Organisation in dieser Zeit geholfen hat?
1425 Frauen und 1435 Kinder wurden in 30 Jahren in das Frauenhaus Ortenau
aufgenommen, beschützt und auf ihren Wegen in ein Leben ohne häusliche
Gewalt begleitet. Noch wesentlich mehr Frauen haben sich zur Beratung an
uns gewandt.

Ist häusliche Gewalt vermehrt als früher oder wehren sich Frauen heute selbstbewusster, weil sie auch die Möglichkeit haben, einfach zu gehen?
2003 gab es die erste Untersuchung über das Ausmaß häuslicher Gewalt in Deutschland. Danach
ist jede vierte Frau im Alter von 18 bis 85 einmal in ihrem Leben von
körperlicher oder sexueller Gewalt betroffen. Durch die Arbeit der
Frauenhausvereine ist das Thema aus der Tabuzone geraten. Frauen werden
ermutigt, Gewalt nicht länger zu ertragen, wissen heute eher wohin sie
sich wenden können. Noch immer sind Frauen die ein Frauenhaus aufsuchen
nur die Spitze des Eisberges. Und auch diese Frauen erleiden im
Durchschnitt sieben Jahre Gewalt, bevor sie sich von dem Gewalttäter
trennen. Früher war Gewalt Privatsache. Seit 2002 gibt es das
Gewaltschutzgesetz und den Platzverweis. Aber noch immer haben Frauen
Angst und Scham, über die erlittene Gewalt und Demütigungen zu reden.

Können Sie uns ein Beispiel schildern, in dem die Gewalttätigkeiten besonders drastisch für die Frau war?
Vergangenes Jahr betreuten wir eine Frau, die jahrelang vor ihrem Mann körperlich
schwer geschlagen und immer wieder vergewaltigt wurde. Er tat dies immer
vor den Augen der Kinder. Das hat bei Frau und Kindern tiefe Wunden
hinterlassen. Es ist oft unglaublich, welche körperliche und psychische
Gewalt Frauen erleben. Dabei sagen viele, die Angst, wann schlägt er
wieder zu, ist am schlimmsten. Besonders heftig finde ich, dass immer
wieder schwangere Frauen zu uns kommen die geschlagen wurden.

Wie lange bleiben Frauen im Frauenhaus und wohin gehen sie, wenn sie die Einrichtung verlassen?
In den vergangenen drei Jahren blieben die Frauen durchschnittlich 80 Tage
im Frauenhaus. Mache bleiben nur einen Tag, im Extremfall  musste eine
Frau ein Jahr im Frauenhaus bleiben. Abhängig ist dies davon, wir stark
eine Frau durch die Gewalt geschädigt ist, welche Zeit sie und ihre
Kinder brauchen um sich zu stabilisieren. Es hängt auch davon ab wie
schnell die Frau eine Wohnung findet.

Oft sind auch Kinder betroffen. Wie erleben Kinder den Alltag im Frauenhaus?
Kinder sind von der Gewalt häufig genau so traumatisiert wie ihre Mütter, sie
leiden körperlich, haben häufig Konzentrations- und Schlafstörungen.
Manche Kinder vermissen im Frauenhaus ihre Freunde, ihre gewohnte
Umgebung. Viele gewöhnten sich jedoch schnell ein. Gerade größere
Mädchen sind häufig froh, dass sie mit der Mutter den Schritt gewagt
haben. Für die Kinder ist es wichtig zu sehen: Sie sind nicht die
einzigen die Gewalt erleben. Unsere Sozialarbeiterin, die speziell für
die Kinder da ist, bietet eine intensive Betreuung. Sie macht
altersentsprechende Angebote für Kinder.

Wie sieht derzeit die finanzielle Situation des Trägervereins aus?
Seit es das Frauenhaus gibt, gibt es auch den Kampf um die Finanzierung. Die
Verdoppelung des Kreiszuschusses ab 2013 erleichtert unsere Arbeit.
Dennoch müssen wir pro Jahr etwa Prozent selbst erwirtschaften, das sind
rund 160.000 Euro der Gesamtkosten. Deshalb sind wir nach wie vor
dringend auf Spenden angewiesen.

Was wünschen Sie sich für das Frauenhaus?
Eine gewaltfreie Gesellschaft liegt in weiter Ferne. Wir möchten jeder Frau
und ihren Kindern die Hilfe anbieten können, die sie benötigt. Dazu ist
es wichtig, die Lücken im Hilfesystem des Ortenaukreises zu schließen.
Wir brauchen: eine Ausweitung der Beratungsarbeit; eine Übergangswohnung
für Frauen und Kinder, die das Frauenhaus verlassen könnten, aber noch
keine eigene Wohnung gefunden haben; eine Finanzierung für eine fachlich
besetzte Nacht- und Wochenendbereitschaft, eine Öffentlichkeitsarbeit
und gezielte Präventionsarbeit und natürlich die gesicherte
Frauenhausfinanzierung.

Autor: st

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