Angedacht: Simon Schilling
Fisch mit Honig zum Muttertag

Simon Schilling | Foto: privat

"Wir wären nie gewaschen und meistens nicht gekämmt, / die Strümpfe hätten Löcher und schmutzig wär das Hemd, / wir äßen Fisch mit Honig und Blumenkohl mit Zimt, / wenn du nicht täglich sorgtest, dass alles klappt und stimmt. / Wir hätten nasse Füße und Zähne schwarz wie Ruß / und bis zu beiden Ohren die Haut voll Pflaumenmus. / Wir könnten auch nicht schlafen, wenn du nicht noch mal kämst / und uns, bevor wir träumen, in deine Arme nähmst. / Und trotzdem! Sind wir alle auch manchmal eine Last: / Was wärst du ohne Kinder? Sei froh, dass du uns hast."

Gedicht von Eva Rechlin

Dieses Gedicht der Schriftstellerin Eva Rechlin (1928-2011) beschreibt auf ergreifende Weise, warum wir heute am zweiten Sonntag im Mai Muttertag feiern. 1907 von einer Lehrerin aus Philadelphia „erdacht“, fand die Idee des Muttertags schnell Verbreitung. 1922 kam dieser Brauch nach Deutschland, wurde zwischenzeitlich von den Nazis im Sinne ihres Familienbildes instrumentalisiert und erscheint heute manchen angesichts von Gleichberechtigungs- und Genderdiskussionen fragwürdig.

Mich erinnert dieser Tag zuerst an etwas, was anscheinend schon damals leicht vergessen wurde: Dankbarkeit. Dankbarkeit für einen Menschen, der mir in einer Zeit der Hilfsbedürftigkeit treu zur Seite stand und mich an seiner Hand hat groß werden lassen. Natürlich gibt es auch schwierige Mutter- beziehungsweise Eltern-Kind-Beziehungen. Nicht selten höre ich davon bei meiner Arbeit.

Das Gedicht von Eva Rechlin öffnet aber am Ende die Perspektive und zeigt, dass Dankbarkeit zwei Richtungen haben kann. Die Frage „Was wärst du ohne Kinder?“ deutet an, dass wir Menschen unglaublich viel gewinnen, wenn wir uns mit unserer Liebe verschenken. Dass Kinder keine Selbstverständlichkeit sind, sagt uns der letzte Satz: „Sei froh, dass du uns hast.“

Bei so viel Glück und Dankbarkeit in alle Richtungen braucht es heute vielleicht keine Überhöhung einer einzelnen Person, sondern einfach nur einen schönen Familientag. Und vielleicht lassen Sie – ganz coronakonform – noch eine Person teilhaben, die gerne Mutter oder Vater wäre, es aber nicht geworden ist. Dann erscheint die Idee der Lehrerin aus Philadelphia alles andere als überholt.
Simon Schilling, Pastoralreferent, JVA-Seelsorger

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