An(ge)dacht
Fenster sind mehr als nur Öffnungen
Auf Reisen einen Fensterplatz ergattern: wer kennt nicht dieses Wohlgefühl, das mir einen tollen Blick auf die Landschaft erlaubt. Heiß begehrt sind Zimmer mit Seeblick oder aufs Bergpanorama. Irgendwo ankommen und erst einmal das Fenster öffnen, damit ich gut durchatmen kann. Wie auch immer: Fenster sind ganz besondere Orte.
Wenn ich abends an das Fenster meines Schlafzimmers gehe, empfinde ich schon das Öffnen als etwas Besonderes: frische Luft strömt herein. Und wenn ich morgens durch das Fenster schaue, lasse ich das Licht auf mich wirken, das mich diesen neuen Tag begleiten wird. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber hat einmal gesagt: „Ich habe keine Lehre. Ich zeige nur etwas. Ich nehme den, der mir zuhört, an der Hand und führe ihn zum Fenster; ich stoße es auf und weise hinaus: ich zeige Wirklichkeit.“
Genau so hat es der gute Menschenkenner aus Nazaret getan. Jesus hat keine Lehre vom Reich Gottes definiert. Seine Bildgeschichten und Gleichnisse sind wie Fenster, durch die er zeigt, was wirklich gilt: dass das Reich Gottes im Kommen ist. Fenster sind mehr als nur Öffnungen. Sie sind für mich ganz besondere Gebetsorte, die dazu einladen, immer mal wieder tief durchzuatmen – bei hoffentlich guter Luft – und Ausschau zu halten – bei hoffentlich schöner Weitsicht.
So kann ich die Enge des eigenen Lebensraums hinter mir lassen: alles gute Voraussetzungen fürs persönliche Beten.
Gerhard Bernauer
Pfarrer i. R., Offenburg
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