Angedacht: Anna Manon Schimmel
Die Taube führt den Geist Gottes spazieren
Gurr-gurr – ein bekanntes Geräusch, nicht unbedingt ein beliebtes. Die Taube, erst auf dem Pfarrhausdach, dann fliegt sie rüber zum Kirchturm. Sie begleitet mich, gefühlt schon immer, in Weiß oder gräulich, grünlich schimmlig schimmernd, manchmal auch Lila glitzernd am Hälschen. In schönem Hellrosa mit schmuckem schwarzen Halsband, oder bescheiden unauffällig Braun. Ringeltaube, Turteltaube, Türkentaube, Felsentaube, Brieftaube, Friedenstaube, Stadttaube, unendlich sind die von Gott ausgedachten Varianten dieses Vogels.
Ratten der Lüfte: Ihr Kot frisst sich in alte Gemäuer. Verkrüppelt im Dreck sitzend oder auf öffentlichen Plätzen Brotkrumen erheischend nervt sie Touristen und Anwohner. Gurr-gurr.
Manch ein frommer Mensch will aus diesem Gurren auch ein Kürr-kürr gehört haben. Das Kyrie, das auf den Kyrios, den Herrn hinweist. Die Taube: Vorbote des Frühlings, Opfertier des Alten Testaments, Flugweltmeisterin, Seelentrösterin des Aschenputtels. Sie plündert mit Vorliebe Gemüsebeete.
Sie ist Symbol des Heiligen Geistes. Sie verbindet Himmel und Erde sowie Altes und Neues Testament, Ruach in leiblicher Gestalt.
Sie begleitet mich, gefühlt schon immer. Vor 26 Jahren wurde ich konfirmiert. Fast hätte ich das gelassen mit der Konfirmation. Ich fiel nämlich durch die Prüfung – aus Schüchternheit und Aufregung, nicht aus Doofheit. Ich war entsetzt über den Umgang des Pfarrerehepaars mit mir und grübelte, ob ich mein Ja dieser Kirche geben sollte. Da entdeckte ich im Garten eine Taube. Es ging von ihr eine starke Anziehungskraft aus. Ich sprach mit ihr. Sie kam, setzte sich auf meine Hand und blieb den ganzen Nachmittag. Danach war klar: Gott bekommt mein Ja!
Damals begann meine Liebe zu diesem Tier, das Gottes Geist spazieren führt, durch die Lüfte, durch heile und kaputte Welten. Denn Täubchen sind sich nicht zu schade, auch im Dreck der Straße bei den Ärmsten der Armen in Sorgen zu sitzen. Geist wird greifbar, zum Anfassen nahe. Es ist das „Alles wird gut“, das aus dem Gurren ertönt. Es ist der Flügelschlag, wie ein kleiner Wind des Friedens.
Anna Manon Schimmel, Pfarrerin Neuried
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