Sonntagsporträt: Niclas Oettermann
Künstlerische Freiheit etwas Großes
Lauf. Das Repertoire von Niclas Oettermann als Tenor ist beeindruckend. Das Repertoire des seit zehn Jahren in Lauf lebenden Tenors umfasst Literatur von Verdi, Puccini, Mozart, Wagner, Beethoven oder Strauß. "Ich bin aber früh aus festen Engagements ausgestiegen", sagt der in Schramberg geborene Künstler, der inzwischen mit seiner aus Südkorea stammenden Frau Joanna Choi vor allem mit regionalen Projekten auf sich aufmerksam macht.
So steht im Frühjahr 2020 ein viertägiges grenzüberschreitendes Festival zu Pfingsten rund um das Fort Rapp Moltke im elsässischen Reichstett auf dem Programm und die finalen Vorbereitungen laufen bereits: Ein Dutzend professionelle Künstler sind verpflichtet. Zum Konzept gehört außerdem die Beteiligung Jugendlicher aus der Ortenau und dem Elsass. Das Duo Oettermann und Choi erarbeitet den Handlungsfaden, textet, komponiert und plant. Daneben laufen Gespräche, die die künstlerischen Aspekten, die Organisation und finanzielle Ausstattung des Events beinhalten. Dann kommt die Pandemie und damit alles anders. Inzwischen ist daraus ein You-Tube-Filmprojekt geworden, zusammen mit dem Lahrer Verein Momo e. V. unter der Schirmherrschaft des Europaparlaments, mit der Unterstützung der Baden-Württemberg-Stiftung und des deutsch-französischen Jugendwerks. Unter dem Titel "My Wish" erzählen Jugendliche beiderseits des Rheins ihre Träume, Wünsche und Ideen.
Mit 14 Jahren fängt Oettermann an, eigene Lieder zu komponieren. Nach der Schule studiert er an der Universität in Tübingen vergleichende Religionswissenschaften und Philosophie, später Jazzgesang und Komposition im niederländischen Hilversum und schließlich in Trossingen klassischen Gesang. Während des Studiums lernt er seine Frau Joanna kennen. Er sagt über ihr Heimatland: "Das ist für mich wie ein anderer Planet." Sie sagt über Deutschland: "Hier habe ich das Leben gelernt – und ich lerne immer noch." Auch Choi bewegt sich zwischen den verschiedenen Disziplinen der Kunst.
Auf den großen und kleinen Bühnen
Am Hamburger Thalia-Theater steht Oettermann Mitte der 1990er-Jahre erstmals auf der Bühne. Dort hat er von 1997 bis 1999 sein erstes Engagement, spielt bis zu acht Rollen teilweise gleichzeitig. Seine mehrfachen Auftritte in der Londoner Royal-Albert-Hall bleiben in Erinnerung. "Die Briten nehmen klassische Musik nicht so ernst – da wird auch schon mal geschunkelt", erzählt Oettermann lächelnd. Tourneen und Auftritte mit Größen wie den Berliner Philharmonikern, Gastspiele an Opern- und Theaterhäusern weltweit stehen in seiner Vita. Sein letztes festes Engagement hat Oettermann am Staatstheater Meiningen, das er ab 2006 beendet. "Wenn man mit der Kunst überleben will, muss man immer dranbleiben", gibt er seine Erfahrungen wieder. Dazu gehört auch seine Erkenntnis: "Die Bühne hat schöne, aber eben auch hässliche Seiten", dabei betont Oettermann, dass er nie blauäugig gewesen ist. Für ihn ist die Bühnen-Karriere nie das Wichtigste gewesen. Zumal man auch "bestimmte Sachen machen müsste", zu denen er nicht bereit gewesen ist. Oettermann genießt die freiberufliche Kunst, für ihn hat "künstlerische Freiheit hat etwas Großes". Gemeinsam mit seiner Frau werden Themen wie Sport, Theater, Mode oder Design miteinander kombiniert, damit Neues entsteht.
"Warum mache ich das, was ich tue?" – eine Frage, die er sich, aber eben auch Jugendlichen bei den Projekten immer wieder stellt. Die Kunst aus anderen Blickwinkeln, das ist ein Antrieb für Oettermann. Erfahrungen mit dem Ausbrechen aus künstlerischen festen Formaten hat Oettermann früh gemacht, etwa bei Aufführungen in Paris von "Hoffmanns Erzählungen" samt Breakdance-Einlagen. "Black Forest Opera" ist ein neues digitales Projekt von Oettermann und Choi. In kurzen Filmen mit humoristischen Sequenzen wandert er durch den Schnee und singt "O Tannenbaum" oder "Winter Wonderland". Für ihn ist die Klassik in ihrer traditionellen Form in einer Sackgasse. Das Publikum ist auch für Experimente offen. Digitale Formate ermöglichen das Probieren von Effekten. Diesen Weg will Oettermann weitergehen, den Unterschied zwischen Unterhaltungs- und ernster Musik auflösen. Rembert Graf Kerssenbrock
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