Freundlichkeit beruht immer auf Gegenseitigkeit
Lahr. „Wo es dir gut geht, dort ist die Heimat“, stellte schon der römische Tragödiendichter
Pacuvius (220-130 v. Chr.) fest. Im Rahmen der deutschlandweiten Aktion
des Bundesverbands Deutscher Anzeigenblätter „Das geht uns alle an“
stellen wir in unserer Serie Menschen vor, die ihre ursprüngliche
Heimat aus den unterschiedlichsten Gründen verließen. Eine neue Heimat
haben sie in der Ortenau gefunden. Norbert Rößler sprach mit John Adey,
in England geboren und in Kanada aufgewachsen, der seit 46 Jahren in
Lahr und Nachbargemeinden lebt.
Mindestens zwei Tage wird John Adey nie vergessen. Er und seine Frau hatten eine Eigentumswohnung in
Lahr gekauft, als sie am 9. November 1989 nach Hause kamen und im
Fernsehen sahen, wie die Berliner Mauer fiel. Tags darauf sagte er
seinen Kollegen, dass sie sich deutsche Jobs suchen sollten, denn eines
war für ihn klar: Mit dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ zwischen Ost und
West war über kurz oder lang auch die Stationierung der kanadischen
Streitkräfte in Lahr obsolet. So kam es denn auch: Die Soldaten wurden
nach Kanada zurückbeordert, und die Zivilbeschäftigten wurden bis
spätestens 1993 entlassen.
Der heute 64-Jährige konnte sich glücklich schätzen, dass er nicht dem Militär angehört. Soldaten müssen
dorthin, wohin sie ihre Befehlshaber schicken. Mit einem solchen Job
hatte er aber nie etwas im Sinn. Im Gegensatz zu seinem im November
vergangenen Jahres im Alter von 92 Jahren verstorbenen Vater, der zwar
kein Soldat, aber Angehöriger der militäreigenen Feuerwehr war und den
es mit seiner Familie an etliche Orte in Kanada verschlug, bevor sie
schließlich nach Lahr kamen, das – nebst Umland – zumindest dann für
John Adey zur Heimat wurde.
Darauf deutete nichts hin, als er 1951 in Wallasey in England nahe Liverpool das Licht der Welt erblickte.
Nach einem entsprechenden Angebot für seinen Vater als Feuerwehrmann
bei den kanadischen Streitkräften ging es vier Jahre später nach Trenton
nahe der Lahrer Partnerstadt Belleville. Sein Vater war bereits dort,
als sich seine Mutter mit ihm und seiner zweieinhalb Jahre älteren
Schwester per Schiff auf dem Weg machte. Nur er, erinnert sich John
Adey, wurde nicht von der Seekrankheit gebeutelt, stattdessen hat er
Curling-Stöcke über Bord geworfen. Quicklebendig ging es weiter zu neuen
Stationen: 1959 bis 1963 St. Hubert in der Provinz Quebec, 1963 bis
1965 Goose Bay in der Provinz Labrador an der Ostküste Neufundlands und
1965 bis 1967 Edmonton in der Provinz Alberta. Und schließlich Germany:
1967 bis 1969 in Zweibrücken und dann in Lahr.
Am 1. August 1967 landete die Familie auf dem Lahrer Flughafen, wurde dann per Bus zum
Standort der kanadischen Streitkräfte nach Baden-Söllingen gebracht.
Aufregend war das für John Adey, der wie die ganze Familie erstmals in
Deutschland war. Beeindruckt war er beispielsweise von den Gasthäusern,
in denen er auch ein Bier trinken konnte – im Gegensatz zu Kanada, wo
dies bis zu einem Alter von 18 Jahren verboten war. „Parkbrau“, erinnert
er sich, hieß die damals beliebte regionale Marke.
Spannend wie die Wohnortwechsel verliefen auch John Adeys berufliche Wege. Was er in
einer Verwaltungsfachschule in Kanada erlebte, hat ihm nicht gefallen,
stattdessen entdeckte er sein Faible für das Druckgewerbe – mit zarten
Anfängen als Austräger im Alter von elf Jahren, wobei er für den
„Montreal Star“ einen Bezirk, in dem dieser noch nicht präsent war,
exklusiv bediente. Es folgten unter anderen Stationen als „Bowling Alley
Pinsetter“, als der er Kegel abräumte und wieder aufstellte,
Lagerarbeiter in Warenhäusern, Fahrlehrer für Motorradfahrer und dann –
unterbrochen von einer Tätigkeit als Verwaltungsoffizier in Ramstein –
wieder das Druckgewerbe.
Da druckte er nicht nur die in Lahr erscheinende Zeitung „Der Kanadier“, sondern auch alle Drucksachen für
die Streitkräfte und ihre Angehörigen, was beispielsweise Feuerwehr,
Polizei, Krankenhaus und das Wohnungswesen betraf. Nach einer Umschulung
zum Mediengestalter ist John Adey seit 2007 bei der Firma Freyler in
Kenzingen, woher auch seine Frau stammt, als Spezialist für
Digital-Druck tätig – dies bis Ende dieser Woche, wenn er in Rente geht.
Was aber bedeutet für ihn, der in der Region neben Lahr in Schuttern, Kippenheim, Kappel-Grafenhausen und Oberweier seine Wohnstatt
hatte, Heimat? John Adey, der hier inzwischen zusammen mit seiner Frau
ein Haus erworben hat, stellt die Frage zunächst in einen größeren
Zusammenhang. Überall seien die Leute zum Beispiel in einem Punkt
gleich: „Wenn man glücklich und freundlich ist, sind die Leute auch
freundlich.“ Dann die Entscheidung: Heimat, sagt er, ist für ihn Lahr.
Nach Kanada hat es ihn, wie er betont, nie zurückgezogen, auch wenn er zum
Beispiel immer wieder seine inzwischen verstorbenen Eltern besuchte.
Solche Gefühle vernimmt er auch von einst in Lahr stationierten
Soldaten. „Die wollen, wenn sie es könnten, alle zurück nach Lahr“, weiß
John Adey. „Alle sagen: Wir haben da unsere beste Zeit gehabt“. Schöne
Zeiten kann John jetzt im Ruhestand genießen: Auf Reisen und in seiner
Heimatstadt Lahr.
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