An(ge)dacht: Ihr Begleiter durch die Woche
Mind the gap: Achte auf die Lücke
Seit wir vor Jahren das erste Mal in London einen Städteurlaub gemacht haben schwirrt mir diese Warnung, die wir immer wieder an ungezählten U-Bahnhöfen gehört haben, im Kopf herum: Mind the gap!
In den nicht immer kerzengeraden U-Bahnsteigen ist dieser Hinweis wichtig. Achtet man nicht darauf, läuft man Gefahr beim Aussteigen in eine solche Lücke zu treten und dann wird es nicht einfach nur schmerzhaft, sondern auch gleich gefährlich.
Der Hinweis ist, so finde ich, aber auch für uns von Bedeutung.
Lücken entstehen ja nicht nur in London zwischen Bahnsteigen und Zügen sondern auch in unserem Leben: In Beziehungen, in Freundschaften, zwischen Kindern und Eltern, zwischen Ehepartnern, zwischen Gläubigen und Kirche, et cetera.
Das Problem: Anders als zwischen festen Bauwerken und relativ starren Fahrzeugen entarten zwischenmenschliche Lücken schnell und meist völlig unbemerkt zu großen Spalten. Ehe man sich es versieht hat man sich auseinander gelebt, sich plötzlich nichts mehr zu sagen, wird einander fremd.
Zwischenmenschliche Beziehungen sind fragil und fordern ständige Pflege und Hege. Wo diese fehlt, wo man fahrlässig auf das Geratewohl den Dingen ihren Lauf lässt, da wird aus einem Riss, einer Spalte unversehens ein unüberbrückbarer Graben.
Um sich der Anfänge zu erwehren wäre man daher gut beraten sich nicht nur den Warnhinweis immer wieder ins Gedächtnis rufen: Mind the gap! Besser wäre sicher auch einmal selbst den ersten Schritt auf seine Nächsten zuzumachen statt immer nur darauf zu warten, daß der jeweils Andere dies tut. Alles was es neben der Einsicht, dass man selbst ja auch nicht ohne Fehl und Tadel sei, braucht ist das Wollen und das Tun.
Viel einfacher ist da unsere Beziehung zu Gott: Zwischen ihm und uns gibt es, wenn überhaupt, immer nur eine unsererseits gefühlte Lücke. Zum Beispiel, weil wir meinen, Gott hätte sich von uns abgewendet. Wenn wir, uns unserer Schuld bewusst, zu glauben beginnen der Graben zwischen uns und Gott sei zu einem unüberbrückbaren Abgrund geworden.
Gott ist da und wartet tatsächlich darauf, daß wir uns ihm zuwenden. „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ (Mt 28,11) sagte Jesus. Wir müssen dabei nicht fürchten unserer Sünden wegen von ihm für unwürdig erachtet zu werden. Gott kennt keine Lücken. Im Gegenteil: Er kennt all unsere Tiefen und dunklen Ecken, weis was wir denken und fühlen, tun oder lassen lange bevor uns das selbst bewusst ist. „Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unsrer Missetat.“ (Ps 106,10). Gott ist deshalb nie weiter von uns entfernt als ein Gebet. Und anders als Menschen versteht er auch unsere in Scham begründete Sprachlosigkeit, verstünde selbst aus Reue und Kummer in Tränen erstickte Worte und sogar einen durch Trauer und Schmerz erdrückten stillen Schrei.
Überall dort wo wir eine Lücke empfinden ist es Zeit für ein Gebet.
Mind the gap!
Dieter Fettel
Prädikant
evangelische Landeskirche Baden
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