„Deutsch ist ein Motor der Intelligenz“

Michel Mattoug, französischer Germanist und deutscher Jurist
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Michel Mattoug, französischer Germanist und deutscher Jurist, war in internationalen Unternehmen tätig, bevor er
sowohl in Deutschland als auch in Frankreich an Universitäten
unterrichtete. Sein Fachgebiet ist die Internationalisierung, seit 25
Jahren ist er Experte für grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Nach
seinem Ruhestand an der Universität Straßburg arbeitet er nach wie vor
in der Wirtschaft. Stadtanzeiger-Redakteurin Christina Großheim sprach
mit ihm über die von der französischen Kultusministerin Najad
Vallaud-Belkacem angestoßene Reform bezüglich des
Fremdsprachenunterrichts an französischen Schulen.

Was beinhaltet die geplante Reform?
Sie sieht vor, dass ab 2016 in der französischen Sekundarstufe I die
bilingualen und Europaklassen abgeschafft werden. In Frankreich lernt in
Zukunft jedes Kind ab der Primarstufe eine Fremdsprache – fast immer
Englisch. Nur im Elsass ist es Deutsch. In der Sekundarstufe I kam eine
zweite Fremdsprache hinzu – meist Deutsch. Diese zweite Fremdsprache
wird abgeschafft. Das bedeutet für die Schüler einen Wegfall von
Kompetenzen. Für die Lehrer sind die Auswirkungen noch dramatischer – es
fallen Stunden in den einzelnen Klassen weg. Wenn Sie ihre Stundenzahl
erhalten wollen, müssen sie mehrere Klassen an unterschiedlichen Schulen
unterrichten. Wie sollen da noch Schulpartnerschaften funktionieren?

Ministerin Vallaud-Belkacem hält bilinguale Klassen, insbesondere, wenn sie
Deutsch anbieten, für zu elitär. Teilen Sie diese Einschätzung?

Frankreich ist ein Land, das seine Eliten fördert. Es ist das Bestreben einer
jeden Familie, die Kinder auf eine Eliteschule und -hochschule zu
führen. Die Ministerin selbst kommt aus einer elitären Hochschule. Ja,
Deutsch ist elitär, in dem Sinn, dass Familien, die ihre Kinder
gefördert haben wollen, sich für Deutsch entscheiden. Elitär ist in
Frankreich alles, auch Physik und Mathematik. Kunsterziehung ist auch
elitär, ebenso Musikerziehung – kurz, alle Fächer, die nicht zum
Pflichtkanon gehören, aber von den Eltern gewählt werden. Sowohl die
Ingenieurs- als auch die Wirtschafts- und Politikhochschulen sind
elitär. Und an ihre Abschaffung denkt in Frankreich keiner. Natürlich
ist Deutsch elitär, aber das ist kein Grund, es abzuschaffen.

Wie wichtig ist es, die Sprache des Nachbarn zu beherrschen?
Für Frankreich ist Deutsch nicht eine andere Sprache. Englisch ist das
Globische, das gehört zum Pflichtkanon. Deutsch ist die erste
Kultursprache nach dem Französischen. Zum einen gibt es die Besonderheit
des deutsch-französischen Verhältnis. Im Elysee-Vertrag ist festgelegt,
dass die Schüler die Sprache des jeweils anderen Landes erlernen
sollen. Die Anzahl der Städte- und Vereinspartnerschaften ist die
höchste der Welt. Wie soll man das weiterführen, wenn man die Sprache
des anderen nicht spricht? In Englisch, da fehlt das Herz. Deutsch ist
die Sprache der Denker und der Musik, die Sprache der Philosophen und
der großen Journalisten. Deutsch ist wegen der Strukturunterschiede zu
den romanischen Sprachen wie Französisch ein Motor der Intelligenz.

Welche Nachteile entstehen für französische Jugendliche?
Deutschland und Frankreich sind die jeweils größten Handelspartner. Französische
Unternehmen erhalten als Zulieferer nach Deutschland Zugang zu den
internationalen Märkten. Frankreich fördert stark die Forschung und
Entwicklung, deutsche Firmen drängen deshalb hierher. Welche
französische Ingenieure sollen dort arbeiten, ohne deutsche
Sprachkenntnisse? In Deutschland können noch die puren
Ingenieurwissenschaften studiert werden. Immer mehr Franzosen gehen nach
Deutschland, um dort den Master zu machen. Doch in welcher Sprache?
Eine gute Beherrschung des Deutschen fördert die Karriere, die
Persönlichkeit und den europäischen Aufbau.

Welche Reaktionen gibt es bislang auf dieses Vorhaben in Frankreich, aber auch in Deutschland?
In der französischen Nationalversammlung und im Bundestag gibt es jeweils
eine deutsch-französische Parlamentariergruppe – die haben gemeinsam
protestiert. Der ehemalige Premierminister Jean-Marc Ayrault, der selbst
Deutschlehrer war, hat heftig widersprochen. Die deutsche Botschafterin
in Paris hat höchste Besorgnis zum Ausdruck gebracht. Das ist eine
starke Formulierung in der Diplomatensprache.

Autor: Christina Großheim

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