Talk mit Bundestagsabgeordnetem in Kehl
Tabuthema LGBT
Kehl (st). Ein Live-Talk aus Kehl enttabuisiert LGBT-Themen, fordert eine doppelte Grundgesetzänderung und lockt einen Bundestagsabgeordneten aus der Reserve. Es diskutierten Jens Brandenburg (Bundestag, FDP), Gemeinderat Michael Nguyen und wechselnde junge Gäste zu politischen Themen. Moderiert wurde das Event von Felix Neumann, bekannter Musiker mit "Zweierpasch" und Ortenauer Talkmoderator. Gemeinsam mit Benedikt Eisele und Yannick Kalupke, beide Landtagskandidaten der FPD, hat er den Abend initiiert.
Das live gestreamte Event bot mit einer spannenden Mischung aus etablierten Politikern und jungen Menschen reichlich Gesprächsstoff. Josie Bechinger, 14 Jahre, sprach für "Fridays-For-Future" Ortenau und - gemeinsam mit Adel Alchawa, Geflüchteter aus Syrien - für den Jugendbeirat des Projekts "Gemeinsam Stark". Charla Sikora vertrat mutig die LGBT-Szene der Ortenau und ist Teil der Kehler Queere-Gruppe. Alle drei stehen für eine Generation politisch höchst aktiver Jugendlicher, die sich für Klima, Integration und sexuelle Aufklärung einsetzen.
Wählen ab 16?
So überrascht es wenig, dass sich sowohl das Trio als auch die beiden Politiker für eine Reformierung des Wahlrechts aussprachen. „Wählen ab 16“ gehört derzeit zu unseren großen Themen auf Bundesebene“, so Jens Brandenburg. Kritische Stimmen boten sich auf Nachfrage des Moderators in der Netzcommunity, die sich an der Diskussion rege beteiligte. Fehlende Reife oder eine gezielte themenbezogene Mitentscheidung für U18 wurden dort genannt. Netzmoderator Anton Umhey begleitete den Livechat und brachte immer wieder Stimmen daraus in die Talkrunde ein. Das ermöglichte eine interaktive Debatte, die auch Teilnehmer*innen im Saarland und den Vereinigten Staaten verzeichnete.
Der Abend bot ein Diskussionsformat am Puls der Zeit. Gefilmt wurde mit vier Kameras in stimmungsvoller Atmosphäre. Moderator Felix Neumann führte mit souveräner Lockerheit in die Themen ein und ließ allen Teilnehmern ausgewogene Gesprächsanteile zukommen. Im ersten Block zu Jugend und Beteiligung ging es neben einer Absenkung des Wahlalters auch um die Partizipation von Menschen mit Migrationshintergrund. „Genau dafür gibt es Projekte wie Gemeinsam Stark Ortenau“, so Jugendbeirat Adel Alchawa aus Kehl. „Ich möchte mich einbringen und was bewegen, andere dazu anstiften und Ansprechpartner für sie sein. Dass ich als Syrer hier nicht wählen darf ist schade und sollte geändert werden“.
LGBT steht für Fragen der sexuellen Identität
Im zweiten Themenblock das Abends erzeugte des Thema LGBT erhöhte Brisanz. „Die Anzahl an jungen Menschen, die in unsere LGBT-Gruppe kommen, hat in letzter Zeit stark zugenommen“, betont Charla Sikora, Mitinitiatorin der am Kehler Einstein Gymnasium entstandenen Queere-Gruppe. Sie ist die bisher einzige echte Anlaufstelle in Kehl für Jugendliche, die sich Fragen zu ihrer sexuellen Identität stellen. Der Begriff LGBT stammt aus dem englischsprachigen und steht für lesbisch, gay (schwul), bisexuell und transgender. Die Tabuisierung des Themas sei noch groß, mangelnde Akzeptanz in Schule, Familie oder Freundeskreis sind Alltag. Dazu kämen hohe Hürden für Passänderungen oder therapeutische Begleitung, so die junge Dame mit rötlich gefärbten Haaren. „Auch in Schulen muss sich noch viel ändern!“.
Ein Versprechen gab der stets gesprächsoffene Kehler Gemeinderat Michael Nguyen (Junge Liste) an die Vertreterin der Queer-Community ab: „Eure Gruppe und die konkreten Bedarfe sind uns noch nicht ausreichend bekannt. Gerne möchte ich das Thema verfolgen und biete euch ein Treffen an“. Die Suizidrate von queeren Jugendlichen ist nach aktuellen Zahlen vier bis sechs mal höher als bei heterosexuellen jungen Menschen. Deutschland verzeichnete 2019 steigende Zahlen an homo- und transfeindlichen Übergriffen. Bei gleichzeitig hoher Dunkelziffer.
Den Politiker Brandenburg stören auch die hohen Hürden für Homosexuelle bei Blutspenden. Sie müssen dafür eine zwölfmonatige sexuelle Enthaltsamkeit nachweisen. Der junge FPD-Abgeordnete kämpft für eine Aufnahme der sexuellen Identität in Artikel 3 des Grundgesetzes. Darin steht, dass Menschen aufgrund ihrer Heimat, Herkunft oder Religion nicht diskriminiert werden dürfen. Der smarte Politiker aus dem Wahlkreis Rhein-Neckar lebt selbst in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft und ist Sprecher für LGBT-Fragen der FDP-Fraktion im Bundestag. Er sitzt im Ausschuss für Bildung und ist stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Jugend und Familie.
Zentrale Erkenntnis des Abends ist, dass mehr und offener über das Thema gesprochen werden muss. „Schulen und Städte benötigen viel spezifischere Angebote und Ansprechpartner für LGBTs“, unterstreichen Charla Sikora und Josie Bechinger, die sich neben ihrem Umweltengagement auch in der Kehler Gruppe einbringt. Moderator Neumann hat zu einer Öffnung des Themas am Abend wesentlich beigetragen. Er sieht zum Talkende gleich zwei geforderte Grundgesetzänderungen: die Absenkung des Wahlrecht und das erweiterte Diskriminierungsverbot in Artikel 3.
Die Diskussion wurde im Rahmen des Projekts „Gemeinsam Stark Ortenau“ des Diakonischen Werks veranstaltet, das zuletzt Talks mit dem Profifußballer Armir Abrashi, Black Lives Matter-Aktivisten und einer Polizistin organisiert hatte. Gestreamt wurde parallel auf den Facebookseiten des JMD Kehl und JUKE Events, wo das Video nachgeschaut werden kann. Verantwortlich für die technische Umsetzung war Heiko Borsch des JUKE St. Nepomuk, der immer stärker zum gefragten Partner für Videoproduktionen wird. Zuletzt filmte er das 24h Benefiz-Radeln und das Musikevent „Krone des Rheins“ auf der Passerelle des Deux Rives. Felix Neumann kündigte zum Abschluss weitere Talks für Kehl an.
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