Handel und Gastronomie
Verzweiflung wächst, Durchhaltevermögen schwindet
Kehl (st). „Am Donnerstag ist der Tag 166, an dem wir geschlossen haben“, konstatiert "Hafen-17"-Wirt Mirko Sansa. „Wir halten das noch maximal zwei Monate durch.“ Von Umsätzen „nahe null“ sprechen Einzelhändler und berichten von Preissteigerungen und Lieferschwierigkeiten, die noch weit über die Pandemie hinausreichen werden. Im Gespräch mit Oberbürgermeister Toni Vetrano und Wirtschaftsförderin Fiona Härtel am Donnerstagmorgen kommt vor allem eines zum Ausdruck: Verzweiflung angesichts mangelnder Perspektiven, die durch die stark steigenden Corona-Fallzahlen noch befeuert wird.
Gefühl der Ungerechtigkeit
Schwer lastet auf Ladenbetreibern, Gastronomen und Hoteliers auch das Gefühl der Ungerechtigkeit: Warum dürfen Baumärkte öffnen? Warum dürfen Supermärkte und Discounter über Lebensmittel hinaus auch Waren verkaufen, die zum Sortiment des übrigen Einzelhandels gehören? Soforthilfe können auch OB und Wirtschaftsförderin nicht anbieten, „nur alles tun, damit wir vorbereitet sind, wenn Lockerungen kommen“, sagt Toni Vetrano.
Dass der Städtetag fordert, wie der OB berichtet, das Einkaufen mit Termin (Click & Meet) auch bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 100 anzubieten, tröstet die Kehler Einzelhändler nicht, die an der Videokonferenz teilnehmen. Die Erfahrungen von Kollegen aus anderen Städten zeigten: Auch bei Click & Meet lägen die Umsatzeinbrüche bei 80 Prozent und mehr.
Lieferschwierigkeiten nach Wiederöffnung befürchtet
Zwar ist der fehlende Umsatz aufgrund geschlossener Ladentüren das drängendste Problem, inzwischen reichen die Sorgen der Händler jedoch über das Ende der Pandemie hinaus: Jetzt müsse Ware für Herbst und Winter bestellt werden, wer nicht bestimmte Kontingente abnehme, könne auch später bei einigen Lieferanten nichts mehr nachordern. „Dann muss ich meinem Kunden im Laden sagen, dass ich seine gewünschten Schuhe nicht einmal bestellen kann“, verdeutlicht Sporthändler Frank Riebel das Dilemma, in dem er steckt.
Nicht anders sieht die Situation im Elektrohandel aus: „Wenn wir jetzt überraschend öffnen dürften, hätten wir bestimmte Waren möglicherweise nicht sofort verfügbar“, erklärt Ralf Seebacher von Expert Oehler. Für manche Elektrogroßgeräte betrage die Lieferzeit inzwischen mehrere Monate, berichtet er und vermutet, dass die Waren in andere Länder mit geringeren Restriktionen geliefert würden. Für die Zeit nach der Pandemie rechnet er mit deutlich steigenden Preisen.
Die Wirtschaftsförderer in Baden-Württemberg hätten ein gemeinsames Papier ausgearbeitet, berichtet Fiona Härtel Händlern, Hoteliers und Gastronomen, wie die Läden und Gaststätten und Hotels mit Hygiene- und Testkonzepten wieder geöffnet werden könnten. Das sei jedoch beim Land ebenso auf Eis gelegt worden wie der Antrag des Landkreises auf ein Modellprojekt. Dass das Modellprojekt abgelehnt wurde, hat Toni Vetrano nicht verwundert: „Fast jede Stadt und jeder Kreis hat einen Antrag gestellt.“ Modellprojekte seien jedoch nur in begrenztem Rahmen und mit wissenschaftlicher Begleitung sinnvoll. Nur so könne man von den Erkenntnissen profitieren.
Angesichts der deutlich steigenden Infektionszahlen bleibt aus Sicht von OB Vetrano und Wirtschaftsförderin Härtel derzeit nur die Vorbereitung auf die Zeit deutlich geringerer Inzidenzen. Dazu gehören die Schnellteststationen an fünf Punkten in der Innenstadt; die Öffnungszeiten des Testzentrums in der Stadthalle könnten bei Bedarf jederzeit wieder hochgefahren werden, versichert Toni Vetrano. In Bodersweier gebe es bereits eine dezentrale Testmöglichkeit, in Goldscheuer sei eine im Aufbau. Aktionen, um einen Innenstadtbesuch attraktiv zu machen seien ebenso in Vorbereitungen wie Ausnahmeregelungen für die Außengastronomie – beides werde im Gemeinderat behandelt.
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