Ehrenamtliche springen für die Übersetzung ein
Kehler Dolmetscherpool ist unentbehrlich
Kehl (st). Wie geht es ihrem kleinen Sohn, nachdem sie ihn morgens in die Kita gebracht hat? Womit spielt er gern? Wie verhält er sich gegenüber den anderen Kindern? Fragen, die Ionela Valentina Musuroi genauso beschäftigen wie wohl jede andere Mutter, die ihr Kind in einer Kindertageseinrichtung betreuen lässt. Doch sie kann sie nicht einfach stellen: Die junge Rumänin beherrscht die deutsche Sprache noch nicht gut genug. Für das Gespräch hat Gabi Schellbach, Leiterin der Kita Kreuzmatt, deshalb einen Dolmetscher über den Kehler Dolmetscher-Pool organisiert. In dem Pool stehen inzwischen fast 60 mehrsprachige Ehrenamtliche bereit; wer ebenfalls dolmetschen möchte, kann im Oktober an einer Schulung teilnehmen.
„Die gelbe Plüschente war für Eduard am Anfang sehr wichtig“, erinnert sich Gabi Schellbach lächelnd. Ionela Valentina Musurois Blick springt von ihr zu Alexander Cornut, der ebenfalls lächelt. Umgehend sagt der gebürtige Rumäne ihr dasselbe in ihrer Muttersprache. Jetzt muss auch sie lachen, an die Ente erinnert sie sich gut. Als Eduard vor einem Jahr als Zweijähriger in die Kindertageseinrichtung kam, war sie dort seine ständige Begleiterin, eine Art sicherer Anker. „Jetzt braucht er sie nicht mehr“, fährt Gabi Schellbach fort. „Er ist hier angekommen und hat sich sehr gut entwickelt. Es ist…“ Sie bricht ab, denn Alexander Cornut hat die Hand gehoben. „Wenn es zu lang wird, unterbreche ich lieber“, erklärt der erfahrene Dolmetscher. „Denn sonst kann ich das Gesagte nur noch zusammenfassen, aber nicht mehr eins zu eins übersetzen.“
Dann dolmetscht er wieder, auch die Fragen, die Ionela Valentina Musuroi zu ihrem Kind loswerden will. „Wie geht er mit den anderen Kindern um? Provoziert er?“ – „Nein“, versichert ihr die Kita-Leiterin via Dolmetscher, „natürlich gibt es mal Konflikte, das gehört zur Entwicklung dazu. Aber er ist nicht angriffslustig. Es ist ein ganz tolles Kind, das Sie da haben.“ Die junge Rumänin strahlt. Zwar hatte sie immer den Eindruck, dass es Eduard in der Kindertageseinrichtung gut gefällt, und beim Bringen und Abholen konnte sie sich mit den Erziehern auch über das Notwendigste verständigen, doch tiefergehende Gespräche waren nicht möglich.
Auch Gabi Schellbach ist es wichtig, dass in solchen Fällen ein Dolmetscher dazukommt. „Über so etwas Grundsätzliches wie die Entwicklung des Kindes sollte man ausführlich sprechen können. Wenn Eltern nur Bruchstücke verstehen, gehen wertvolle Aspekte vielleicht verloren.“ Mehr als 90 Prozent der Kinder in ihrer Einrichtung haben einen Migrationshintergrund, viele Eltern beherrschen die deutsche Sprache noch nicht fließend. Bei Kleinigkeiten, die schnell geregelt werden können, bitten die Erzieher andere Eltern aus dem gleichen Sprachraum, kurz für sie zu übersetzen. Gibt es niemanden, der die gefragte Sprache beherrscht, wird mit Gesten gearbeitet oder etwas aufgemalt. Für längere Gespräche bringen Eltern oft Verwandte mit, welche bereits gut Deutsch sprechen. So macht es in der Regel auch Ionela Valentina Musuroi: Ihre Schwägerin ist in Deutschland geboren, sie hilft ihr im Alltag oft bei Sprachbarrieren. „Aber manchmal sind die Themen, die wir besprechen, sehr persönlich. Dann ist es für die Eltern angenehmer, wenn der Dolmetscher kein Angehöriger, sondern ganz neutral ist“, weiß Gabi Schellbach. „Deshalb sind wir sehr dankbar, dass es den Dolmetscher-Pool gibt.“
Der Kehler Dolmetscher-Pool entstand vor fünf Jahren auf Anregung des Netzwerks Integration. Wurde das Projekt zunächst von Bildungspartnern und der Bürgerstiftung Kehl finanziell unterstützt, so trägt die Stadt Kehl die Kosten inzwischen allein. Die Zahl der Einsätze ist im Laufe der Zeit, auch durch den Zuzug zahlreicher Flüchtlinge, stark gestiegen: Gab es 2014 noch 240 Gespräche, bei denen Ehrenamtliche aus dem Pool gegen eine Aufwandsentschädigung von 15 Euro dolmetschten, so waren es 2015 schon mehr als 500 und 2016 sogar fast 1.400. „In diesem Jahr ist die Zahl zwar leicht rückläufig, aber die Nachfrage ist immer noch enorm“, sagt Claudia Mündel, Leiterin der Gemeinwesenarbeit Kreuzmatt, die den Dolmetscher-Pool koordiniert, „bis Ende August waren es rund 550 Einsätze.“
Auch die Zahl der Ehrenamtlichen ist seit Einrichtung des Pools stetig gewachsen. 2015 war das Interesse so groß, dass drei Schulungen allein für Arabisch sprechende Dolmetscher angeboten wurden. Inzwischen zählt der Pool knapp 60 Mehrsprachige, die zusammen 28 Sprachen abdecken, darunter zum Beispiel auch Bosnisch, Ungarisch, Kiswahili und Urdu.
„Wir wurden sogar schon aus anderen Städten in der Ortenau angefragt, weil dort eine bestimmte Sprache benötigt wurde, die einer unserer Dolmetscher beherrscht“, erzählt Claudia Mündel. Der entsprechende Dolmetscher konnte dann entscheiden, ob er die weitere Fahrt auf sich nehmen wollte. Ohnehin gilt: Die Ehrenamtlichen, die für ein Gespräch angefragt werden, dürfen sich aussuchen, ob sie zusagen oder nicht. „Das Gespräch mit Frau Musuroi in der Kita war sehr angenehm für mich“, sagt Alexander Cornut, „aber es gibt auch ganz andere Fälle“. Beim Jugendamt habe er beispielsweise dolmetschen müssen, als sich Eltern darüber stritten, wer das Sorgerecht für die Kinder bekommen soll. „Das muss man erst einmal verdauen“, räumt er ein. Auch Termine, bei denen psychische Probleme besprochen werden, etwa bei der Psychologischen Beratungsstelle, nehme er weniger gern wahr. „Es gibt schlimme Sachen. Ich versuche so etwas schnell wieder zu vergessen“, sagt der Rentner, der in seinem Berufsleben als Ingenieur tätig war und neben Deutsch und Rumänisch auch Französisch und Ungarisch fließend beherrscht. „Andererseits helfe ich gern und bin froh, nützlich zu sein.“ Dolmetscherinnen und Dolmetscher, die nach einem schwierigen Einsatz Gesprächsbedarf haben, können sich jederzeit an Claudia Mündel wenden; außerdem werden regelmäßig Treffen für alle Ehrenamtlichen angeboten, bei denen sie sich untereinander austauschen können.
Tatsächlich sind belastende Situationen aber nicht die Regel bei den Dolmetscher-Einsätzen: Einen Großteil der Termine machen Gespräche bei Behörden aus, im vergangenen Jahr waren es 481. An Schulen und Kitas wurde bei 177 Gesprächen gedolmetscht, bei Ärzten kamen die Ehrenamtlichen 414 Mal zum Einsatz. 238 Mal zogen verschiedene Beratungsstellen einen Dolmetscher aus dem Pool hinzu, die restlichen Gespräche fanden zum Beispiel bei der Agentur für Arbeit, bei Wohnbaugesellschaften oder Krankenkassen statt. Fast bei der Hälfte aller 1380 Gespräche wurde Arabisch-Deutsch gedolmetscht, weit abgeschlagen folgen Rumänisch, Russisch, Polnisch und Bulgarisch. „Die Dolmetscher-Einsätze sind sowohl für die Einrichtungen als auch für die Menschen, die noch nicht ausreichend Deutsch sprechen, enorm wichtig“, fasst Claudia Mündel zusammen. „Der Pool ist in Kehl kaum noch wegzudenken“.
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