Ausstellung im Hanauer Museum
Hemingway und Kehl
Kehl (st). Es gibt wohl nicht viele Städte auf der Welt, die das von sich behaupten können: Ernest Hemingway war Anfang der 1920er-Jahre zweimal in Kehl und hat auch zweimal über die Stadt geschrieben. Seine Kurzgeschichten wurden im "Toronto Daily Star" veröffentlicht. Der junge Hemingway berichtete damals für die heute unter dem Namen "Toronto Star" erscheinende Zeitung als Europa-Korrespondent und hatte sein Büro in Paris. Nicht nur die beiden Texte, sondern auch eine Reiseschreibmaschine der Marke Corona, die Hemingway gerne benutzt hat, wird Teil der Ausstellung „Goldene Zwanziger? Kehl in der Weimarer Republik“ sein, die vom 30. Juni an im Hanauer Museum zu sehen sein wird.
Völlig sinnlos nach einer Schreibmaschine zu forschen, auf welcher der berühmte Schriftsteller tatsächlich geschrieben hat: „Hemingway war ein Schreibmaschinen-Großverbraucher“, sagt Ausstellungskurator Volker Ilgen, will heißen, die meisten haben in seinem Gebrauch nicht lange überlebt. Die in mehrerlei Hinsicht außergewöhnliche Reiseschreibmaschine Corona 3 hat Volker Ilgen im Internet ergattert: Die Suche dort habe „vier oder fünf Treffer“ ergeben, „die etwas gebracht haben“. Den Treffern ist er nachgegangen und hat schließlich die sehr kleine, leichte und handliche Schreibmaschine samt Koffer bei einem Privatanbieter in den USA ersteigert.
Dass die Corona 3, die es auch in Deutschland und Großbritannien gab, aus den USA kam, war wichtig: Nur dann nämlich gibt es auf der kleinen Tastatur, die für eher feingliedrige Finger gemacht ist, auch ein Dollarzeichen – wie es in Hemingways Texten vorkommt. Über US-Postal gelangte die Schreibmaschine, deren Schlitten sich samt Farbbandhalterung nach vorne klappen lässt, zum Zollamt nach Appenweier, wo Volker Ilgen sie schließlich abholen konnte.
Zu fragil erscheint die kleine Maschine, als dass es der Ausstellungskurator wagen würde, auf ihr die ersten Zeilen des Originaltextes zu tippen, den der 1899 geborene Ernest Hemingway nach seinem ersten Kehl-Besuch im September 1922 verfasst hat. Auf einer anderen mechanischen Schreibmaschine getippt, werden sie dennoch über die Walze eingespannt in der Ausstellung zu lesen sein. „Crossing to Germany – Is way to make money“ hatte der damalige Zeitungskorrespondent seine Kurzgeschichte überschrieben, in der er erzählt, wie er über die Rheinbrücke von Frankreich nach Kehl einreist und als Amerikaner vom Zoll nahezu unbehelligt bleibt.
In epischer Breite schildert der spätere Literaturnobelpreisträger (1954 für seine Novelle „Der alte Mann und das Meer“), wie man 1922 als Ausländer und Besitzer von kanadischen Dollars im von der Hyperinflation geplagten Kehl bestens einkaufen konnte. Selbst der Franc war in den Jahren vor der Einführung der Rentenmark im Vergleich zur Mark „eisenhart“, wie Volker Ilgen formuliert, was laut Hemingways Schilderungen dazu führte, dass Straßburger schon am Nachmittag die Kehler Cafés bevölkerten und „vom Kuchen zur Schlachtplatte in die Wirtshäuser weiterzogen“, fasst der Kurator den Text zusammen, den er im Online-Archiv des Toronto Stars gefunden hat.
Als Hemingway ein halbes Jahr später für seine zweite Kurzgeschichte „Getting into Germany – Quite a job, nowadays“ recherchierte, machte er kurz am Kehler Bahnhof halt, weil er auf dem Weg nach Offenburg war. Er schilderte die im Wartesaal herrschende Tristesse, wobei ein „traurig aussehender Kellner in schmutzigem Hemd“ mangels Gästen Zeit hatte, ihm die wenig erfreuliche Lage in der besetzten Stadt zu erläutern. In beide Texte werden Ausstellungsbesucher in einer Hörstation im Hanauer Museum reinhören können; auch die Reiseschreibmaschine wird hier zu sehen sein.
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